"Meine Güte, war das peinlich!"
Autor: Susanne Will
Bad Kissingen, Mittwoch, 14. März 2018
Liedermacher Konstantin Wecker über die Poesie als Widerstand, Anarchie und Zeiten in seinem Leben, die er am liebsten vergessen würde
Kokser, Frauenheld, Anarchist, Poet und seit letzter Woche auch Träger des Göttinger Friedenspreises: Konstantin Wecker war und ist viel in seinem Leben. Vor allem ist er jetzt 70 und noch lange nicht bereit, aufzuhören oder seinen Widerstand um auch nur ein Grad abkühlen zu lassen. Wecker hat viel dafür getan, nicht 70 zu werden. Seine Drogenexzesse brachten ihn 1998 in U-Haft, ein Umstand, der ihm vermutlich das Leben gerettet hat. Jetzt tourt er wieder, der Wecker, mit seinem Programm "Poesie und Widerstand" steht er in Würzburg am 28. März um 20 Uhr im Congress Centrum Würzburg auf der Bühne. Warum er da den doch schon so alten "Willi" wieder ins Rampenlicht holt und warum die Poesie die Welt retten kann, erzählte er im Gespräch mit unserer Zeitung.
Herr Wecker, Sie sind 70 und glaubten eine Zeitlang selbst nicht, dieses Alter zu erreichen. Schauen Sie mal zurück: Was würden Sie heute nicht mehr machen?
Konstantin Wecker: Oh, einiges, gar keine Frage. Dazu fällt mir eigentlich jeden Tag etwas anderes ein. Mit Mitte 20 etwa trug ich einen bodenlangen Nerzmantel, ich wollte aussehen wie ein Zuhälter - meine Güte, war das peinlich, aber ich fand mich damals wahnsinnig toll. Merkwürdig: Damals habe ich die zartesten Liebeslieder geschrieben.
Das fanden viele Frauen wohl verstörend.
Ja! Die haben sich gewundert: Sieht aus wie eine Lude und lässt seine Seele schreiben. Ich spielte damals ein Rollenspiel mit meinem Äußeren und meinen Texten. In den Texten habe ich Gott sei Dank mein Innerstes und meine Weichheit zugelassen - beides hätte ich damals nie zeigen können und zeigen wollen. Ich lebte in einem großen Widerspruch. Aber das fällt mir auch bei meinen Kollegen auf. Es ist oft so, dass deren Texte klüger sind als sie selbst. Auch bei mir war es so: Meine Texte wussten mehr von mir - und irgendwann habe ich selbst auch mehr zugelassen.
Ihre Texte haben nie an Intensität verloren.
Ja. Das ist das große Geschenk der Kreativität, dass man auf etwas zugreifen kann, was man mit der Ratio nicht erfassen kann, das ist ja das Wunderbare an der Poesie. Ich schreibe gerade an einem neuen Buch, der Untertitel lautet "Poesie ist Widerstand". Wir schaffen es, in der Poesie eine Vision auszudrücken, die wir rational nicht wirklich erklären können.
Poesie ist Widerstand - Kritiker würden jetzt sagen: Herrgott, ist der naiv...
...Ja, das ist in Ordnung. Aber: Es ist doch interessant, dass die Herrschenden, sobald sich eine Diktatur entwickelt hat, als erstes im Land die Dichter, die Autoren und auch die Journalisten gängeln und verbieten.
Stichwort Türkei.
Genau. Die Herren verstehen sich auf Kampf, Krieg und Gewalt ausgesprochen gut. Viele besser als wir. Was sie unsicher macht sind Zärtlichkeit und Poesie.
Im Zusammenhang zum Widerstand: Wie sehr braucht es denn den Blues "Willi" heute noch, in dem Sie erzählen, wie ein junger Kerl erst gegen Nazis aufsteht und dann erschlagen wird?
Ich hab ihn wieder in seiner Urfassung im Programm. Es ist doch einfach unglaublich, dass dieses fast ein halbes Jahrhundert alte Lied jetzt wieder so aktuell ist. Das erschreckt mich so, ich hätte nie im Leben daran gedacht, dass wir in eine Situation wie der jetzigen kommen. Der italienische marxistische Schriftsteller, Philosoph und Aktivist Franco "Bifo" Berardi hat sagt: "Wir werden in den nächsten 10 Jahren eine identitäre Aggression erleben – ich verwende das Wort Faschismus nicht, aber ich denke, es ist etwas sehr Ähnliches."
Ist die Jugend von heute eine andere als die ihrige? Auf der einen Seite die Ausschreitungen beim G-20-Gipfel, auf der anderen die desinteressierten Handy-Wischer?
Bei der Diskussion über die Ausschreitungen beim G-20-Gipfel in Hamburg wäre ich vorsichtig. Man wollte dort jeden linken Widerstand zerstören. Ich war einen Tag vorher bei einer G-20-Veranstaltung in Hamburg, das war eine tolle Geschichte mit der Germanistin und Soziologin Auma Obama, der Schwester des Ex-US-Präsidenten. Mein Sohn blieb länger. Er ist 17 und ich weiß nicht nur durch ihn, dass es die politisierte Jugend noch gibt. Gerade die ganz jungen. Bei den 30-Jährige muss man aufpassen, die sind angepasster. Aber aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Ich habe bei vielen Demonstrationen den Agent Provocateur gesehen, der gezielt auf demokratischen Demonstrationen provoziert hat, sich vermummt hat und Scheiben eingeschlagen hat. Die Polizei war früher aber auch anders. Viele waren auf unserer Seite - jetzt wehrt sich das Kapital.
Würden Sie sich noch als Anarchist bezeichnen?
Vor zwei Tagen hatte ich ein sehr bereicherndes Treffen mit Gerhald Hüther. Er ist Neurobiologe und einer der renommiertesten Hirnforscher Deutschlands. Es war interessant, wie wir beide - er vom Standpunkt der Wissenschaft, ich vom Standpunkt der Poesie - zur Schlussfolgerung kamen, dass nur eine anarchische Welt eine Chance hat.
Das heißt für mich: Sie trauen Ihren Mitmenschen einiges zu.
Natürlich, vom Grundsatz her. Aber das ist ein langer Prozess. Gerald Hüther nennt einen Hauptbestandteil in diesem Prozess die Würde. Wer seine Würde wieder entdeckt, wird die der anderen nicht verletzen. Das haben Anarchisten auch immer gesagt. Anarchie ist kein Chaos, sondern braucht selbständige Menschen, die mit ihrem eigenen Leben umgehen können. Und die deswegen auch kein Problem haben, verletzt zu werden: Wenn ich Würde habe, nehme ich den Vorwurf, ein Naivling zu sein, gerne hin. Und es kommt noch etwas: Der infamste Trick des Neoliberalismus ist so zu tun, dass die Ungerechtigkeit der Welt "alternativlos" ist. Das ist ein unverschämter Trick. Dann werden Menschenwie ich sofort als Spinner oder Träumer oder im schlimmsten Fall als Terroristen angesehen. Ich lasse mir diese Alternativlosigkeit nicht bieten.
Sie sind noch immer ein wütender Mensch. Ist es die Wut, die Sie immer noch motiviert?
In meinem ganz speziellen Fall bin ich zum Schluss gekommen: Wenn ich nicht die Chance auf Menschen hätte, dann würde ich vielleicht zum Zyniker werden. Aber ich habe das Glück, so vielen tausenden Menschen zu begegnen, die nicht unbedingt das gleiche Ideal wie ich haben, das von der herrschaftsfreien Welt, aber sie haben die gleiche Sehnsucht: nach einer gerechteren, menschlicheren Welt. Und so viele kommen nach dem Konzert und fragen: Darf ich Sie umarmen? Natürlich dürfen sie das. Das ist schön. Das finde ich zauberhaft und das gibt mir Mut. Ich mache meinem Publikum Mut und das Publikum mir.
In Ihren Partnerschaften waren Sie bis auf die lange Zeit mit Ihrer Frau Annik lange unstet. Doch es gibt eine Konstante: Seit 25 Jahren ist der Nürnberger Pianist Jo Barnikel ihr Lebensgefährte in der Musik. Wie kommt"s?
Ich habe das Glück, dass Jo mich mag, dass er während der Welttournee mit Till Brönner so plant, dass er weiter mit mir spielen kann. Und es ist toll, wenn er sagt: "Am liebsten spiel ich mit dir." Aber in Würzburg steht mit uns noch die großartige Fany Kammerlander mit ihrem Cello auf der Bühne, die in vielen großen Orchestern gespielt hat. Es wird also ein wenig kammermusikalisch mit uns dreien.
Über 600 Songs haben Sie geschrieben und Sie schreiben immer weiter. Sind Sie besessen?
Nun ja, ich hatte ja auch Zeit für andere Dinge...
...Sie meinen, im Knast lässt es sich gut schreiben?
...ja, das kann man dort! Aber ich habe viel gefeiert in meinem Leben und Zeit für Vergnügungen gehabt und das muss auch so sein, daran ist nichts Negatives. Besessen...? Vielleicht! Weil: Durchs Schreiben erfahre ich so viel von mir. Langsam muss ich sagen: Vielleicht ist das ganze Leben die Aufgabe, sich selbst auf die Schliche zu kommen.