Druckartikel: Mehr Resilienz: Wie es pflegenden Angehörigen gelingt, Raum für sich selbst zu schaffen

Mehr Resilienz: Wie es pflegenden Angehörigen gelingt, Raum für sich selbst zu schaffen


Autor: Rebecca Vogt

LKR Bad Kissingen, Sonntag, 13. März 2022

Pflegende Angehörige sind einer massiven Belastung ausgesetzt. Oft stellen sie dabei ihre eigenen Bedürfnisse hintenan. Das aber macht die Situation nur noch schlimmer. Ein Ausweg: Die eigene Resilienz fördern. Diplom-Psychologe Lorenz Wohanka erklärt wie.
Wer Angehörige pflegt, sollte auf sich selbst achten, denn: "Ich kann nur das geben, was ich habe." Foto: Photographee.eu, stock.adobe


Menschen, die sich um eine pflegebedürftige Angehörige oder einen pflegebedürftigen Angehörigen kümmern, sind oft rund um die Uhr im Einsatz. Vielfach stellen die pflegenden Angehörigen dabei ihre eigenen Bedürfnisse hintenan, was die ohnehin anspruchsvolle Situation aber nur noch weiter verschärft, wie Diplom-Psychologe Lorenz Wohanka erklärt. Die Pflege der oder des Angehörigen kann so zu einer immensen, unbeherrschbaren Belastung werden. Damit es nicht soweit kommt, gilt es, die eigene Resilienz zu "fördern", wie Wohanka sagt.

Was ist unter dem Begriff Resilienz zu verstehen?

Lorenz Wohanka: Resilienz ist ein typischer Modebegriff geworden. Es gibt dabei jede Menge unscharfer Definitionen, auf die man stößt. Resilienz ist aber nichts anderes als die Fähigkeit, mit den Belastungen und Anforderungen des Lebens so umzugehen, dass man dabei einigermaßen gesund bleibt. In der Forschung gibt es hierzu sehr gegensätzliche Pole. Auf der einen Seite steht die Überlegung, dass Resilienz eine Veranlagung ist, die beim Menschen von Haus aus angelegt ist. Auf der anderen Seite gibt es die These, dass Resilienz eine Fähigkeit ist, die sich unter gewissen Anforderungen entwickelt. Gemäß dem Sprichwort: Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben.

Die Wahrheit liegt wohl wie immer dazwischen: Es gibt nicht den resilienten Menschen an sich. Resilienz ist zudem eine Fähigkeit, die sich auch wieder verlieren kann. Auf die Resilienz eines Menschen wirken verschiedene Einflussfaktoren. Manche sind geeignet, Resilienz zu fördern, und andere können Resilienz massiv behindern.

Warum ist Resilienz für pflegende Angehörige besonders wichtig?

Man muss sich die Situation dieser Menschen bewusst machen. Sie haben meist ein sehr intensives emotionales Verhältnis zu der zu pflegenden Person, was sich sowohl positiv als auch negativ auswirken kann. Ein weiterer Aspekt ist, dass der Mensch, den sie pflegen, immer auf Hilfe angewiesen ist. Hier verschiebt sich ein Gleichgewicht. Stellen Sie sich zum Beispiel eine Waage vor: Auf der einen Seite steht der zu pflegende Mensch, auf der anderen Seite die oder der Angehörige. Man muss sich dabei als Pflegende oder Pflegender oft selbst hintenanstellen. Daraus ergibt sich eine permanente Balancestörung.

Im schlimmsten Fall opfert man sich selbst auf und ist irgendwann vollkommen kraftlos. Oft ergeben sich hier auch autodestruktive, also selbstzerstörerische Verhaltensmuster. Man hat ein schlechtes Gewissen, traut sich nicht, sich Raum für sich selbst zu nehmen und macht sich selbst Vorwürfe, nicht gut genug zu sein. Diese Situation wird irgendwann unbeherrschbar.

Was belastet pflegende Angehörige am meisten und wie macht sich das bemerkbar?

Hier gibt es eine Vielzahl von Aspekten. So kämpfen die pflegenden Angehörigen zum Beispiel an mehreren Fronten. Da ist die Pflege an sich, gleichzeitig gibt es aber auch sehr viel zu organisieren. Man muss sich mit den Kostenträgern auseinandersetzen und sich mit den Ärzten austauschen und auch den eigenen, "anderen" Alltag meistern. Die Fülle dieser Aufgaben ist eine massive Belastung. Viele spüren zudem, wie eben beschrieben, den Zwang, sich selbst vollkommen aufzugeben. Das ist meiner Erfahrung nach das, was pflegende Angehörige am meisten belastet.

Insgesamt macht sich diese äußerst belastende Situation dann nicht nur psychisch, sondern oft auch körperlich bemerkbar. Wer zum Beispiel - vereinfacht gesagt - vorher schon Rückenschmerzen oder Magen-Darm-Probleme hatte, wird wahrscheinlich auch hier zuerst die Reaktion des Körpers bemerken. Die Symptompalette ist sehr breit.

Welche Wege gibt es für pflegende Angehörige, mit ihrer Situation besser umzugehen?

Das entscheidende Kriterium ist, wie man innerlich mit der Situation umgeht. Die pflegenden Angehörigen müssen einen Weg finden, innerlich gesund mit der emotionalen Situation und der Balancestörung, die sich aus der Pflegesituation ergibt, umzugehen. Das beginnt mit der Art, wie Menschen innerlich mit sich umgehen. Man muss lernen, selbstzerstörerische und perfektionistische Gedanken und Ansprüche über Bord zu werfen und zu sich selbst eine liebevolle und unterstützende Haltung einzunehmen. Das ist ein kleiner, aber wirklich wichtiger Schritt.

Achten Sie einmal auf Ihren inneren Dialog mit sich. Bei vielen hat dieser einen wirklich destruktiven Charakter: Menschen beschimpfen sich regelrecht, wenn sie kleine Fehler machen. Wenn jemand anderes so mit uns sprechen würde, würden wir ihn vermutlich irgendwann aus unserem Leben rausschmeißen. Es gilt also unsere Innenwelt zu verändern.

Im Rettungsdienst beispielsweise heißt es auch: Eigensicherung vor Fremdsicherung. Denn wenn man sich selbst verletzt, kann man den anderen nicht mehr helfen. Auf die Pflege übertragen könnte man sagen: Ich kann nur das geben, was ich habe. Auf der anderen Seite sehen wir viele Menschen, die Pflege als einen sinngebenden, positiven Teil ihres Lebens begreifen können, obwohl sie zugleich so gefordert werden: Eine solche Haltung ist enorm förderlich.

Wie lässt sich Resilienz fördern?

Handlung ist entscheidend: Man muss die gerade beschriebene positive Haltung sich selbst gegenüber immer wieder einüben und kultivieren. Wer dabei mehrfach am Tag nur kurz einen liebevollen Blick auf seine eigenen Bedürfnisse wirft, ändert die Art mit sich selbst umzugehen. Gleichzeitig ist dabei wichtig, dass die innere Einstellung kein reiner Positivismus ist, sondern immer auch eine realitätsangemessene Bewertung der eigenen Situation erfolgt.

Übrigens sollte man auch Raum schaffen, um seine negativen Emotionen ausdrücken zu können. Es muss erlaubt sein, Gedanken auszusprechen, etwa dass man froh ist, die Angehörige oder den Angehörigen auch mal für ein paar Stunden oder Tage los zu sein. Das ist etwas, was man sich oft verbietet, weil es so negativ klingt, aber es ändert nichts daran, dass dieses Gefühl da ist. Wir wissen, dass die Unterdrückung negativ empfundener Gefühle Menschen emotional und psychisch beschädigt. Nicht zuletzt ist auch der Austausch mit anderen Menschen, die in der gleichen Situation stecken, für pflegende Angehörige sehr hilfreich. Wir wissen aus der psychologischen Forschung, wie sehr gegenseitige Unterstützung hilft.

Resilienz ist in Summe das Ergebnis eines lebendigen Anpassungsprozesses, der nicht mit dem Leben hadert oder aufhört mit dem Leben zu hadern. Dafür braucht es auch den Raum, sich selbst wahrzunehmen und eigene Bedürfnisse zu spüren. Diesen Raum können Angehörige schaffen, wenn sie sich selbst emotional erlauben, Angebote wie Kurzzeitpflege zu nutzen.

Zur Person: Lorenz Wohanka hat an der Uni Würzburg studiert und ist Diplom-Psychologe. Zusammen mit seiner Frau gründete er im Jahr 2006 eine eigene Beratungsfirma, heute mit Standorten in Würzburg und Berlin. 2018 entwickelte Wohanka mit den Caritas-Einrichtungen Würzburg ein Seminar für Pflegekräfte zum Thema "Resilienz". Dieses bieten er und seine Frau nun auch in angepasster Form für pflegende Angehörige im Rahmen des Caritas-Programms Plento an. Im Landkreis steht das Seminar Anfang Juli und noch einmal Anfang November im Kurhaus Hotel Bad Bocklet auf dem Programm.