Medizin und Musik vertragen sich
Autor: Gerhild Ahnert
Bad Kissingen, Sonntag, 29. Mai 2016
Das Bayerische Ärzteorchester hatte sich für seine Pfingsttournee zwei Großwerke aus Klassik und Moderne ausgewählt.
Nicht nur für die Leningrader oder Moskauer Sinfonieorchester beim Kissinger Sommer muss die Bühne des Großen Saals mit Podesten erweitert werden, auch bei den regelmäßigen Besuchen des Bayerischen Ärzteorchesters muss Platz geschaffen werden für die 110 Musiker, die in dem 1967 von Studenten gegründeten Laienorchester spielen.
Damals suchte der noch immer mit großem Erfolg tätige Dirigent Reinhard Steinberg, heutzutage im richtigen Leben Neurologe, "leistungsorientierte Amateure" unter seinen Kommilitonen zur Schaffung eines Orchesters. Mit einer Unterbrechung hat es bis heute Bestand und bereitet sich in den Pfingstferien im fränkischen Schloss Craheim vor, um dann die Probenzeit mit drei Konzerten in Bad Kissingen, Nürnberg und München abzuschließen.
Wechselnde Besetzung
Dass es da auf hohem Niveau zugeht, haben die medizinischen Profis und musikalischen Amateure mit professionellem Anspruch im Regentenbau schon viele Male bewiesen. Obwohl die Größe des Orchesters eigentlich eher romanisch-spätromantischem Repertoire entspricht, hatten sie in diesem Frühling auch ein Werk der Klassik mitgebracht, sodass vor der Pause sich viele Aktive im Saal verteilen und ihren
Kollegen auf dem Podium zuhören konnten. Die scharten sich um Georg Grau, den 1989 geborenen Pianisten aus der "Bundesauswahl Konzerte Junger Künstler des Deutschen Musikrats". Er war der Solist in Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 Es-dur op. 73. Das Orchester wirkte hier gut vorbereitet, spielte seinen Part ordentlich, meist in allen Stimmen souverän, aber zu einer wirklich eigenständigen und spannenden Interpretation, die auch dem Solisten Widerpart gegeben hätte, war wohl die gemeinsame Probenzeit eh zu kurz.
Eigenständige Ansätze
Georg Michael Grau, der in Freiburg, Mannheim und an der Royal Academy of Music in London studiert hat, und sich gerade auf sein Konzertexamen vorbereitet, bewies an manchen Stellen Ansätze zu eigenständigen, interessanten Versionen des so oft gespielten Konzerts, zum Beispiel im 2.
Satz, Adagio un poco mosso, wo es ihm gelang, in fast bedächtiger Langsamkeit, aber dennoch vorwärtsstrebend eine gewisse Spannung aufzubauen. Auch beim Anschlag zeigte er sich an vielen Stellen als differenzierter Gestalter mit eigenen Ideen, was aber nicht immer wirklich zu einem Konzertieren mit dem Orchester führte. Etwas ärgerlich waren allerdings kleine Unarten wie durch Pedallastigkeit verwaschene Läufe oder eine etwas nachlässig gespielte linke
Hand, mulmige Endphrasen oder Modulationen, wenn's mal eng wurde, wie etwa beim durchkomponierten Übergang vom 2. zum 3. Satz, wo die Melodiestimme ins Hintertreffen geriet. Das Publikum war's trotzdem zufrieden und bekam auf den kräftigen Beifall auch noch eine kleine Zugabe vor der Pause.Bühnenfüllend und mit einer exzellent einstudierten Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47 von Dmitri Schostakowitsch kam das BÄO nach der Pause zurück in den Saal. Da braucht es nicht nur ein riesiges Orchester aus den üblichen Stimmen, sondern auch Harfen, Klavier und Celesta, drei Schlagzeuger und eine Kontra-Basstuba und ansonsten alles an Blech- und Holzbläsern, was man sich als Komponist so wünschen kann. Und die Übermacht der Streicher, wie sie sich in jedem Laienorchester findet, ist hier so richtig angebracht.
Lächerlicher Parteipomp
Ob Schostakowitsch mit dieser seiner 5. Sinfonie nun Stalin, der ihn wegen seiner für das sozialistisch brav an der Parteileine zu haltende Sowjetvolk allzu orgiastischen Oper "Lady Macbeth von Mzensk" gerügt und deren erfolgreiche Aufführungen verboten hatte, beeindrucken oder den Parteipomp lächerlich machen wollte, bleibt sich gleich.
Auf jeden Fall hat er mit ihr ein ungeheuer ausdifferenziertes, in der Instrumentierung raffiniertes Werk geschrieben, das zu den imposantesten des 20. Jahrhunderts gehört. Hier hatte Dirigent Steinberg seinen Amateuren, die bei der Auswahl der Stücke ja mitbestimmen, nicht nur die durch Proben und ständiges Einhören aller in die komplizierte Textur des Werkes erreichte Sicherheit vermittelt, er hatte auch eine klare Interpretation geschaffen und so seine Musiker an der begeisternden Vielfalt dieses Werkes unmittelbar teilhaben lassen.