Manuel Keßler: Als Forscher hoch hinaus
Autor: Carmen Schmitt
Bad Kissingen, Dienstag, 17. Januar 2017
Manuel Keßler aus Hausen hat vor 25 Jahren beim Wettbewerb "Jugend forscht" abgesahnt. Heute ist er Chef einer Forschungsgruppe an der Stuttgarter Uni.
Es war dieses eine Buch, das sein Leben veränderte. "Das Segelflugmodell" stand auf dem Buchdeckel. Sechs- bis achtmal laß er es in den nächsten Jahren - von vorne bis hinten. Damals verstand Manuel Keßler noch nicht alles, was darin erklärt wird. Doch er wollte mehr wissen. Irgendwann wusste der Kissinger so viel, dass er mit einem Modellflugzeug-Projekt den Regionalsieg beim Wettbewerb "Jugend forscht" abräumte. Heute, 25 Jahre später, ist Manuel Keßler Chef einer Forschungsgruppe am IAG, dem Institut für Aerodynamik und Gasdynamik an der Stuttgarter Uni. Er und seine Studenten versuchen, das System Hubschrauber zu verbessern und die Wirklichkeit nachzuahmen.
Ein paar leichte Bretter aus dem Spielzeugladen und Kleber. An der Werkbank von Papa bastelte Manuel Keßler im Alter von zehn Jahren an seinem ersten Modell. Dann endlich ein Bausatz mit Fernsteuerung! Bis das Modell für die Physik-Facharbeit schließlich aus glasfaserverstärktem Kunststoff bestand, vergingen einige Jahre der Tüftelei. Manuel Keßler war vom Modellbau begeistert. Und er ist es noch. Nach dem Abi zog es ihn in die große Stadt. Von Hausen nach München. Während des Zivildienstes in einer Forschungseinrichtung bemerkte er schnell, die große Stadt war zu groß. Statt des geplanten Luft- und Raumfahrt-Studiums im Süden büffelte er im Mathe und Physik-Studium in Würzburg. Eine gute Entscheidung, wie sich später herausstellen sollte.
Betreuer von 10 Doktoranden
"Ich habe einen anderen Blickwinkel als die Kollegen und praktisches Wissen aus dem Modellbau", sagt Manuel Keßler. Bei der Luft und Raumfahrt ist er schließlich trotzdem gelandet. Heute betreut er 400 Studenten, die dieses Studienfach in Stuttgart belegt haben. Außerdem zehn Doktoranden. Er kümmert sich um Anträge für die Finanzierung von Projekten, hält Vorlesungen und leitet Übungen. Seit 2000 lebt Manuel Keßler mit seiner Frau in Stuttgart. Vier Jahre später wurde er Leiter der "Heligruppe", der Abteilung, die sich mit Hubschrauber und Aeroakustik beschäftigt. Wieso gerade Helikopter und nicht etwa Autos?
Sinn für Praxis entwickeln
"Im Gegensatz zum Auto gibt es bei den Hubschraubern noch Verbesserungsbedarf." Das Auto ist schon viel weiter, meint er. Die Forschung rund um den Hubschrauber begeistert ihn: "Hier geht es um den Feinschliff. Wir versuchen, das Letzte herauszuholen." Wie wird ein Hubschrauber schneller, leiser, effizienter? Wodurch könnte er mit weniger Sprit auskommen? Mit seinen Studenten erarbeitet er Lösungen für Fragestellungen direkt aus der Wirtschaft. Dabei will er den Nachwuchsforscher vor allem eines mitgeben: "Die Studenten sollen einen Sinn für die Praxis entwickeln, jenseits von Formeln." Das Ziel: Das Gelernte einsortieren, und aus einzelnen Puzzleteilen ein Gesamtbild zusammensetzen, meint er. "Ein guter Ingenieur sollte auf seinem Spezialgebiet kompetent sein und ein allgemeines Grundverständnis haben." Ohne Rückschläge kommt auf dem Weg dorthin keiner aus.
Das Scheitern macht kreativ
Das Scheitern gehört dazu, das hat ihn sein Hobby gelehrt. "Man muss eine gewisse Frustrationsbereitschaft haben und auch mit Durststrecken umgehen können." Wer scheitert, wird kreativ, meint er. Wenn er früher mit seinem Modellflugzeug auf dem Feld war, kann er in der Hälfte der Fälle mit einem beschädigten Teil nach Hause. Was dann? Zurück in die Werkstatt und kleben. Ausdauer ist gefragt. Das will er auch seinen Studenten vermitteln. Die Promotion ist nicht für jeden etwas, sagt er. "Man muss auf lange Sicht sehr strukturiert sein. Da bin ich als Betreuer gefragt."Viele seiner Studenten wechseln nach ihrem Abschluss in die Wirtschaft. Was ihn in der Forschung hält? "Es ist spannend. Man kann vieles ausprobieren. Es ist interessant, Neues zu entdecken." Sein Ziel: den Hubschrauber besser simulieren. "Unsere Ergebnisse beeinflussen den Fortschritt." Außerdem: Die Simulation ist wichtiges Instrument zur Risikominimierung. Was am Computer durchgerechnet werden kann, muss kein Testpilot erproben. Zum Beispiel: Dass ein Pilot ab einer Geschwindigkeit von 180 Kilometern pro Stunde durchgeschüttelt wird, will der Hersteller bestenfalls wissen, bevor er in die Produktion geht.
Einmal ist der 44-Jährige in einem Hubschrauber mitgeflogen. Hunderte Male hat er eines seiner Modelle in den Himmel geschickt. Inzwischen kramt er alle zwei, drei Jahre eines seiner Modelle vom Dachboden und geht mit ihnen raus aufs Feld. Zum Modellbau kommt zwischen Familie und Beruf nicht mehr. Seine Tochter und sein Sohn interessieren sich sehr für Technik, aber weniger für Modellflugzeuge. Kein Problem, meint Manuel Keßler. Sein Credo, das er auch an seine Studenten weitergibt: "Egal was ihr macht, sucht euch etwas, worauf ihr Bock habt. Seid mit Engagement und Leidenschaft dabei, dann seid ihr gut darin. Stellt die richtigen Fragen und ihr kommt vorwärts."
Ob seine Aufgabe irgendwann erledigt sein wird? Manuel Keßler lächelt. "Wenn ein Punkt abgearbeitet ist, ergibt sich daraus ein neuer. Forschung geht immer weiter." Der 44-Jährige will das System Hubschrauber verbessern. "Eine Simulation ist gut, wenn sie mit der Realität übereinstimmt und man Vorhersagen machen kann." In dem Buch "Das Segelflugmodell" hat Manuel Keßler inzwischen jedes Kapitel verstanden. Der Modellbau-Band hat bei ihm einen Ehrenplatz.