"Man darf gar nicht daran denken"
Autor: Thomas Ahnert
Bad Kissingen, Freitag, 15. November 2019
Zwei Weltkriege hat Anneliese Hoppmann erlebt und viele schwierige Zeiten durchgemacht. Dennoch hat sie auch viele schöne Erinnerungen, vor allem an ihre Jugendzeit im brandenburgischen Guben.
"Ich bin noch ein Kriegskind", sagt Anneliese Hoppmann. "Als ich geboren wurde, waren die Kämpfe noch in vollem Gange." Dabei meint sie allerdings nicht den Zweiten Weltkrieg, sondern den Ersten. Als am 8. November 1918 endlich die Waffen schwiegen, war sie bereits neun Monate alt. "Ja, ich werde im nächsten Februar 102." Da ist viel Zeit, um viel zu erleben, auch Schwieriges. Für sie waren das die Jahre des Zweiten Weltkrieges und die Nachkriegszeit.
Geboren wurde Anneliese Hoppmann im brandenburgischen Guben. "Kennen Sie Guben? Das ist eine wunderschöne grüne Stadt, die durch die Neiße in einen deutschen und einen polnischen Teil (Gubin) geteilt wird, genauso wie Frankfurt durch die Oder." Dort hat sie ihre Schulzeit verbracht, und dort ging sie in der örtlichen Sparkasse in die Lehre. Sie hat noch viele alte Schwarzweißfotos und Postkarten aus dieser Zeit, die sie immer wieder gerne anschaut, weil sich so viele schöne Erinnerungen damit verbinden, insbesondere "unser wunderschönes Theater auf der Neiße-Insel."
1937, als sie ihre Ausbildung abgeschlossen hatte, wechselte sie an die Sparkasse in Jüterbog südlich von Potsdam, wo sie eine Stelle angeboten bekommen hatte. Da hatte sie das erste Mal mit Soldaten zu tun: "Jüterbog war eine Garnisonsstadt mit 30 000 Soldaten und Militärflugplatz." Da hat sie auch 1940 geheiratet, aber "ein paar Tage nach der Hochzeit ist mein Mann - der war Rheinländer - eingezogen worden." Der musste nach Potsdam, und sie kehrte zurück in ihr Elternhaus nach Guben. 1941 kam ihr erster Sohn Rainer zur Welt. Der Krieg war damals noch relativ weit weg, weil sich die Bomber der Alliierten vor allem auf Berlin konzentrierten.
"Aber 1944 kam der Befehl, dass Frauen und Kinder die Stadt verlassen sollten, weil die Russen im Anmarsch waren. Da kamen schon die ersten Flüchtlinge in die Stadt." Anneliese Hoppmann blieb bei ihrer Mutter, weil ihr Vater zur Marine eingezogen war. Im Januar 1945 gingen die beiden Frauen mit dem Kind dann aber doch nach Jüterbog, nachdem die Wertsachen der Familie im Garten vergraben waren. Über ihre Bankkontakte kamen sie sogar an eine Wohnung. "Kurz vor Hitlers Geburtstag tauchte der erste russische Jeep an der Stadtgrenze auf", und deutsche Offiziere gingen ihm entgegen: "Da hat sich die Stadt wohl ergeben, damit die Frauen nicht vergewaltigt werden."
Die Rechnung ging nicht auf. Aber die beiden Frauen konnten wenigstens zehn deutsche Soldaten retten, indem sie ihnen zivile Kleidung beschafften und die Uniformen samt Orden verbrannten. "An Hitlers Geburtstag kamen dann die Panzer. Die Frauen sind alle in die Keller gegangen, um sich zu verstecken, aber ich bin oben im ersten Stock geblieben, weil ich sehen wollte, was passiert."
Erst hat Anneliese Hoppmann die Soldaten für Amerikaner gehalten, wegen der großen Panzer. Aber als sie dann die Gesichter sah, muss sie erschrocken sein: "Da sind ja Mongolen dabei!" Der Vortrupp war noch zurückhaltend - ein Soldat brachte sogar Essen vorbei. Aber als der Haupttross kam, brachen die Dämme. Auch Anneliese Hoppmann wurde mehrfach vergewaltigt. Da half es ihr auch nichts, dass sie fließend russisch sprechen konnte. Heute kann sie das - fast - mit der nüchternen Distanz der Chronistin erzählen, damals muss es für sie eine Katastrophe gewesen sein.
"Auf jeden Fall saßen wir jetzt fest zwischen 20 000 Russen." Anneliese Hoppmann war einem Trupp zugeteilt, der Schienen abmontieren sollte. Aber sie konnte sich verdrücken. Später kochte sie im Offizierscasino.