Long- und Post-Covid (2): Therapie gegen das Erschöpfungssyndrom
Autor: Benedikt Borst
Bad Kissingen, Freitag, 07. Januar 2022
So müde zu sein, dass der Alltag kaum zu bewältigen ist: Das Fatigue-Syndrom gehört zu den häufigsten Corona-Spätfolgen. In einer onkologischen Rehaklinik in Bad Kissingen bekommen Betroffene Hilfe.
Mehr als sieben Millionen Menschen in Deutschland hatten sich bislang mit dem Coronavirus infiziert. Experten gehen davon aus, dass bis zu 30 Prozent an Spätfolgen leiden. Rund 40 Prozent derer, die wegen Corona im Krankenhaus behandelt wurden, haben mit dem Post-Covid- oder Long-Covid-Syndrom zu tun, weiß PD Dr. Andreas Willer, Chefarzt der Rehaklinik am Kurpark. "Da haben wir eine große Zahl an Patienten. Das Problem des Post-Covid-Syndroms ist als sehr groß anzusehen", sagt der Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, Sport- sowie Palliativmedizin.
200 Post-Covid-Symptome bekannt, Erschöpfung besonders häufig
Die Krankheitsbilder bei Corona-Spätfolgen sind komplex, bislang sind 200 Symptome in zehn Organen bekannt. Besonders häufig tritt laut der S1-Leitlinie "Post-Covid/Long-Covid" der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin neben Kurzatmigkeit vor allem das "Fatigue-Syndrom" auf. Auf die Behandlung von letzterem ist die Reha-Klinik am Kurpark spezialisiert. Sie gehört zum Klinikverbund der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg. Die Klinik ist auf die Behandlung von orthopädischen und schwerkranke Krebspatienten ausgerichtet; aber auch Post-Covid-Patienten mit Fatigue-Syndrom werden inzwischen dorthin überwiesen. "Wir haben erste Erfahrungen gesammelt. Wir können eine Verbesserung der Lebensqualität in Aussicht stellen. Wir können helfen, Post-Covid zu behandeln und Probleme zu lindern, schneller als der Selbstheilungseffekt zum Tragen kommen würde", sagt der Chefarzt. Grundsätzlich werden Post-Covid-Patienten ganzheitlich betrachtet, das heißt in die Diagnostik und ins Therapieziel fließen auch andere Defizite wie etwa Herzinssuffizienzen und Atemnot mit ein. Schwerpunkt ist in der Rehaklinik am Kurpark jedoch das Fatigue-Syndrom.
Behandlung des Fatigue-Syndroms
Damit sind Erschöpfungszustände gemeint, "die wir bei der Behandlung von Krebspatienten täglich sehen", erklärt Willer. Das Syndrom kommt in verschiedenen Ausprägungen vor. Bei leichteren Beschwerden sind die Betroffenen gerade so noch in der Lage, ihr Tagespensum zu absolvieren. Bei mittelschweren Symptomen schaffen sie nur noch einen Teil, bevor sie vollkommen erschöpft Ruhe benötigen. Bei einem schweren Fatigue-Syndrom dauert der Erschöpfungszustand rund um die Uhr an. "Da können Sie quasi nichts mehr arbeiten", erklärt der Mediziner. Für Menschen im erwerbsfähigen Alter kommt das einer Behinderung mit 100 Prozent Berufsunfähigkeit gleich. Charakteristisch für diese Art der Erschöpfung ist die sogenannte Post-Exertional Malaise (PEM). PEM meint laut Willer eine fehlende Regenerationsfähigkeit des Körpers. Schon kleinste Anstrengungen können die Betroffenen komplett überfordern.
Zum Behandlungs-Paket gegen das Fatigue-Syndrom gehören insbesondere Sport- und Bewegungstherapien, um die körperliche Belastungsfähigkeit zu trainieren. Betroffene mit schweren Symptomen brauchen allerdings viel Geduld, um Fortschritte zu erzielen. "Die Belastung von Post-Covid-Patienten muss man mit Augenmaß angehen", erklärt Willer. Ansonsten drohe die Überlastung. "Für Laien ist oft nicht nachvollziehbar, dass ein so kleines Virus sie so aus der Bahn wirft. Aber man muss den Patienten klar machen, dass das kein Problem ist, das von heute auf morgen verschwindet", betont der Mediziner.
Teufelskreis aus Schlafstörungen, Angstzuständen, Depressionen und Brain Fog
Weitere Symptome, die Willer bislang in dem Zusammenhang bei Post-Covid-Patienten beobachtet hat, sind Schlafstörungen, Angstzustände, Depressionen und der sogenannte "Brain Fog" ("Gehirnnebel"). Das alles sind Beschwerden, die auch Krebspatienten betreffen. "Beim Brain Fog fühlt man sich, als ob der IQ abgesackt wäre", erläutert der Onkologe. Die Patienten merken, dass sie Probleme haben, Dinge kognitiv zu erfassen, die ihnen vorher keine Schwierigkeiten bereitet haben. Diese Situation belastet und löst oft Angstzustände, Schlafstörungen und Depressionen aus. Das wiederum kann den Brain Fog noch zusätzlich verstärken. "Das ist ein Teufelskreis, der sich häufig einstellt", berichtet er. Die Klinik behandle die Krankheitsbilder mit psychologischer Unterstützung, mit Gedächtnistrainings und mit Sport- und Bewegungseinheiten. Letztere dienen nicht nur der Kraft und Ausdauer, sondern unterstützen auch die Gedächtnisleistung.
Post-Covid-Reha nicht aufschieben
Holger Metz denkt, dass die Rehakliniken in Deutschland in Bezug auf Corona-Spätfolgen bis jetzt erst die Spitze des Eisbergs erlebt haben. Die Dunkelziffer an Patienten mit Post- und Long-Covid sei hoch. "Das ist eine große Welle, die auf das Gesundheitssystem zukommt. Es wird zu einem erhöhten Bedarf an Rehamaßnahmen führen", meint der kaufmännische Leiter der Rehaklinik am Kurpark. Die Kostenträger müssten die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Kliniken das zusätzliche Rehaaufkommen durch Post-Covid und Long-Covid zusätzlich zum Alltagsgeschäft bewältigen können. Die Kliniken bräuchten zum Beispiel mehr und gut ausgebildetes Personal, aber auch weitere Kapazitäten in der räumlichen und apparativen Ausstattung.
Metz rät, dass Betroffene schon jetzt die Reha in Anspruch nehmen und nicht bis zum Ende der Pandemie warten sollten. "Die Reha ist sicher", antwortet er auf etwaige Bedenken. Die Kliniken hätten gut funktionierende Hygienekonzepte. Wer zu lange warte, riskiere, dass die Beschwerden sich verstärken und er umso länger krank geschrieben werde.