Druckartikel: Lesetipp: Mord im untergehenden Deutschland

Lesetipp: Mord im untergehenden Deutschland


Autor: Sigismund von Dobschütz

Bad Kissingen, Montag, 06. Januar 2020

Michael Jensen zeichnet mit seinem Debütroman Totenland ein beeindruckendea Bild von Deutschland gegen Ende des Zweiten Weltkrieges.
Totenland lautet der Titel des Debütromans von Michael Jensen. Foto/Repro: Sigismund von Dobschütz


Beherrschten bislang eher die Vor- und Nachkriegsjahre das Genre aktueller historischer Romane, schlägt Michael Jensen ein neues und literarisch weit schwierigeres Kapitel deutscher Zeitgeschichte auf: Sein lesenswerter Roman "Totenland" spielt in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs - also in der Zeit des Zusammenbruchs, als das Dritte Reich eigentlich schon untergegangen war, Hitler im Führerbunker Selbstmord beging und führende Nazi-Funktionäre sich vor den alliierten Siegermächten in Sicherheit brachten. Flüchtlinge aus dem Osten suchten in Westdeutschland Zuflucht, die dort in zerbombten Städten hilflos zurückgelassene Bevölkerung versuchte notdürftig zu überleben und viele Menschen wählten in ihrer Verzweiflung den Freitod. In diesen wirren Tagen beginnt Michael Jensens Krimi "von Opfern und Tätern" mit einem "Mord in Deutschlands Stunde Null".

Ein hoher Parteibonze wurde nahe einem Bauernhof ermordet. Der Kriminalinspektor Jens Druwe nimmt die Ermittlungen auf. Früher wurde Druwe in der Berliner Mordkommission unter dem legendären Kripo-Chef Ernst Gennat (1880-1939) ausgebildete, inzwischen wurde er aber nicht nur wegen seiner beim Fronteinsatz erlittenen Handamputation als Dorfpolizist in die Provinz abgeschoben. Seine für den Mordfall zuständigen Kripo-Kollegen aus der Stadt stempeln einen aus dem KZ Fuhlsbüttel entkommenen Häftling und "Volksschädling", schnell als Täter ab. Doch dem trotz Kriegseinsatz sowie beruflicher und menschlicher Erniedrigungen gedemütigte Druwe geht es um Gerechtigkeit. Er ermittelt trotz mancher Drohung seiner Vorgesetzten weiter und stellt sich den Profiteuren des untergehenden Regimes entgegen.

So spannend die Kriminalhandlung auch ist, geht es dem Autor in seinem Buch weniger um den Mordfall und die nachfolgenden Ermittlungen. Beides dient ihm vielmehr zur Darstellung der von den Menschen unter dem Nazi-Regime und im Krieg erlittenen seelischen Folgen - nicht nur bei Opfern, sondern auch bei Tätern, wobei die Grenzen zwischen beiden oft fließend sein können. Jensen entwickelt ein genaues Psychogramm seiner charakterlich so unterschiedlichen Figuren. Er zeigt die Vielschichtigkeit der Gesellschaft auch in der Nazi-Diktatur. Die Menschen lassen sich eben nicht nur in Schwarz und Weiß einteilen, sondern es gibt auch ein in vielen Schattierungen nicht immer leicht erkennbares Grau. Parallel zur spannenden Kriminalhandlung sowie zur treffenden Charakterisierung der Protagonisten gelingt es dem Autor hervorragend, die düstere Stimmung im Alltag des untergehenden Deutschlands zu schildern.

Michael Jensen ist das Pseudonym eines norddeutschen Arztes und Buchautors. Sein Debütroman "Totenland" ist nicht nur Liebhabern von [historischen] Krimis zu empfehlen, sondern ist in jedem Fall lesenswert, vielleicht gerade auch für die Generationen der Nachgeborenen: Der Roman zeichnet ein beeindruckendea Bild von Deutschland gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. "Totenland" ist der erste Band einer neuen Krimireihe. Man darf also auf den zweiten Band gespannt sein, der unter dem Titel "Totenwelt" im Juni 2020 erscheinen soll.

Das Buch

Michael Jensen: "Totenland", Aufbau-Verlag, Taschenbuch, 400 Seiten, Preis: 11 Euro, ISBN 978-3746634609