Leben als Bürgermeister: Platte Reifen und Bedrohungen
Autor: Susanne Will
Bad Kissingen, Donnerstag, 27. Juni 2019
Hetze im Netz, Drohungen, Übergriffe: Welche Erfahrungen haben Bürgermeister aus dem Landkreis Bad Kissingen gemacht? Das Ergebnis ist erschreckend
Vor dem Mord an Hessens Regierungspräsidenten Walter Lübcke stand die Hetze im Netz. Auch Stephan E., der jetzt gestand, den Politiker erschossen zu haben, hatte im Netz kommentiert. "Entweder diese Regierung dankt in kürze ab oder es wird Tote geben", soll er auf youtube.de geschrieben haben. Hetze, Drohungen, Beschimpfungen - das kennen laut einer Umfrage von "report München" und der Zeitschrift "Kommunal" rund 40 Prozent von 1000 befragten Bürgermeistern. Auch im Landkreis Bad Kissingen haben einige Kommunalpolitiker damit Erfahrung.
Die Redaktion hat alle Bürgermeister und Bürgermeisterinnen sowie die Land- und Bundestagsabgeordneten angeschrieben und sie nach ihren Erfahrungen gefragt. Ein Drittel hat sich zu diesem Thema geäußert.. Erfahrung mit Hetze und Drohungen haben einige gemacht.
Reifen zerstochen
Die wohl erschreckendste Rückmeldung kam von einem Bürgermeister aus dem Landkreis, der sich nur anonym äußern wollte (Name der Redaktion bekannt). An seinem Auto wurden nach einem Thema, das die Gemeinde entzweit hatte, bereits zweimal Reifen zerstochen. Er stand damals unter Polizeischutz. Er kennt auch Verunglimpfungen, "immer zu lokalpolitischen Themen, auch nach der Berichterstattung in der Lokalzeitung". "Ich habe mich auch nicht gescheut, juristisch gegen Schmähungen und Drohungen vorzugehen und habe jedes Mal - insgesamt dreimal - auch Unterlassungen mit entsprechenden Zahlungen erreicht." Vom Hass sind auch seine Mitarbeiter in der Verwaltung nicht verschont. Auch sie seien von Drohungen und Verunglimpfungen betroffen. "Früher", sagt er, waren die Hemmschwellen deutlich höher, vielleicht war auch der Respekt vor dem Amt größer."
Konsequentes Löschen
Unter den Opfern ist auch die Bundestagsabgeordnete und Digitalministerin Dorothee Bär. "Gerade die Möglichkeit, im Netz auch anonymisiert diskutieren zu können, senkt leider bei einigen die Hemmschwelle, persönlich angreifend zu werden", sagt sie. Dabei stellt sie fest, dass die meisten Schmähungen und Drohungen "von Leuten komme, die unter ihrem Klarnamen posten". Sie versuche, die Schmähungen nicht an sich herankommen zu lassen. In sozialen Netzwerken lösche sie derartige Posts konsequent. "Für Drohungen haben wir im Bundestag einen festen Ansprechpartner der Polizei. Der bekommt von meinem Büro die entscheidenden Nachrichten zugesandt." (siehe auch Interview am Ende des Textes).
Ton ist ruppiger geworden
Gotthard Schlereth ist Erster Bürgermeister in Oberthulba. "Im Kollegenkreis haben wir uns in letzter Zeit verstärkt mit diesem Thema beschäftigt." Aus seiner persönlichen Sicht heraus sagt er, sei der Umgang und der Ton "in den letzten Jahren schon ruppiger geworden". Er hat erfahren, dass eine sachliche Kommunikation in vielen Fällen möglich ist, wenn auf der persönlichen Ebene ein Zugang geschaffen werden kann. "Schmähungen gehören - leider - zum Politikbetrieb. Auch Drohungen, sowohl verbal als auch unter Andeutung von körperlicher Gewalt musste ich schon erleben." Es handelte sich um eine Situation, in dem ein Mann kurz davor war, Schlereth zu verprügeln - ein Außenstehender hatte allerdings den Angriff abwehren können. "Der Umgang mit diesen negativen Ereignissen fällt nicht immer leicht. Man sollte damit nicht allein bleiben, sondern auch die Rückkoppelung mit den Mitarbeitern und den politischen Gremien suchen. Trotzdem ist es wichtig, sich nicht einschüchtern zu lassen. Das ist das falsche Signal an Leute, die sich nicht benehmen können. Da hilft manchmal nur ,Klartext' in der Antwort und der Reaktion."
Die Meinungsfreiheit, so Schlereth, habe grundsätzlich Vorrang vor dem Persönlichkeitsrecht des Politikers. "Das gehört zum Wesen einer lebendigen und streitbaren Demokratie. Nicht jeder Kritiker kann aber mit den Begriffen Anstand und Benehmen etwas anfangen, gute Umgangsformen stehen leider nicht bei allen hoch im Kurs." Was ihm wichtig ist: Die "allergrößte Mehrzahl" pflege einen guten Umgang mit dem Rathaus, dem Gemeinderat und dem Bürgermeister.
Andreas Sandwall ist Erster Bürgermeister in Bad Bocklet . "Erfreulicherweise waren noch nie unverschämte Mails oder Kommentare in sozialen Netzwerken dabei." Er erlebe, dass viele Themen dort wesentlich offener und deutlicher kommentiert werden. "Früher hätte zu einem eher banalen Thema kaum einer etwas öffentlich gesagt - warum auch? Heute ist ein Tweet, ein Kommentar - ob gut, schlecht oder beleidigend - ganz schnell mal via Handy geschrieben. Früher hat man sich die Meinung - wenn es sein musste - direkt ins Gesicht gesagt oder sich zumindest per Telefon mitgeteilt. Das war nach meinem Empfinden der wesentlich bessere Weg."