Druckartikel: Ladenschluss an Tankstellen betrifft auch Pächter

Ladenschluss an Tankstellen betrifft auch Pächter


Autor: Thomas Ahnert

, Montag, 01. Oktober 2012

Seit dem 1. Juni gibt es in Bayern eine Änderung was den Verkauf von Essen und Trinken an Tankstellen neu regelt. Fußgänger dürfen nach 20 Uhr nichts mehr einkaufen. Reisende dürfen sich aber mit kleinen Mengen eindecken. Das frustriert nicht nur Kunden sondern auch Tankstellenbetreiber.
Verlockend, aber nicht für jeden nutzbar: Wer nach 20 Uhr den Verkaufsraum einer Tankstelle betritt, kann nur etwas kaufen, wenn er mit dem Auto gekommen ist. Fußgänger bekommen nichts.Foto: Thomas Ahnert


Hell wie eine rettende Oase mitten in der Wüste leuchtet die Tankstelle weit hinaus in die Nacht von Bad Kissingen. Die Verkaufsregale hinter den großen Scheiben kann er schon schemenhaft erkennen. Gut 200 Meter muss er noch laufen, bis er seinen quälenden Durst endlich besiegen kann.

Mit letzter Kraft kämpft er sich durch an das Kühlregal, nimmt zwei Flaschen, geht zur Kasse, um zu bezahlen. Aber niemand will ihm etwas verkaufen. Der gute Mann hat einen grundlegenden Fehler gemacht: Er ist zu Fuß gekommen.

"Wir würden dem Mann ja gerne etwas verkaufen. Aber wir dürfen ihm nichts verkaufen. Nicht einmal eine Tüte Chips oder einen Schokoriegel", meint eine Tankstellenmitarbeiterin - die wie ihre Kollegen ungenannt bleiben möchte. Hintergrund für diese Verweigerung ist ein Vollzugshinweis zu dem seit 1995 bestehenden Ladenschlussgesetz in Bayern, gültig seit 1. Juni dieses Jahres. Die entscheidende Passage lautet: "Tankstellen ohne Gaststättenerlaubnis dürfen nach Ladenschluss (also nach 20 Uhr) kleinere Mengen an Lebens- und Genussmitteln nur noch an Reisende verkaufen."

Wer ist überhaupt ein Reisender?


Klingt harmlos und unspektakulär. Der Knackpunkt ist allerdings der Begriff "Reisender". Laut Definition sind das nur ein Kraftfahrzeugführer und sein Beifahrer. Wer mit dem Rad fährt, ist laut Definition kein Reisender, selbst wenn er sich auf einer Deutschland-Tour befindet. Und Fußgänger werden überhaupt nicht als Reisende betrachtet. An Sonn- oder Feiertagen gilt die Regelung rund um die Uhr, an Werktagen zwischen 20 und 6 Uhr. Unter "Reisebedarf" fällt nahezu jeder Artikel aus dem Tankstellen-Sortiment.

"Mit immer neuen Regelungen wird für uns die Luft zum Atmen immer dünner", sagt ein Tankstellenpächter. Und ein Mitarbeiter sieht die Situation schon bald als existenzbedrohend an: "Wir steuern dahin", sagt er, "dass es draußen nur noch die unbesetzten Automatentankstellen gibt". Alles werde immer mehr beschnitten. Ein Ärgernis, unbedingt!

Für die Tankstellenpächter ist das Zusatzgeschäft im Shop oder Bistro zu einer wirtschaftlichen Notwendigkeit geworden. Von der Provision, die die Mineralölgesellschaften zahlen, können sie nicht leben: 1 Cent für Benzin, 1,3 Cent für Diesel - das reicht im besten Fall, um den Laden am Laufen zu halten. Die Betriebe sind auf Nebeneinnahmen angewiesen wie über den Betrieb einer Waschanlage oder eben über den Shop (oder Bistro). Wobei sie für ein Bistro oder ein kleines Restaurant eine Gaststättengenehmigung brauchen, die unter Erfüllung verschiedener Auflagen eigens beantragt werden muss, die allerdings auch das Verkaufsverbot nach 20 Uhr aufhebt. Tankstellen, die auf diese zusätzlichen Dienstleistungen verzichten, gibt es nur noch wenige im Landkreis. Die meisten sind Autohäusern angeschlossen, die darin eine Möglichkeit der Kundenbindung sehen.

Widerstand per Unterschrift


Klaus Ortmann, Pächter der Walther-Tankstelle an der Schönbornstraße, wird deutlich: "Das begreift doch keiner! Ich kann der Oma, die gegenüber wohnt, nicht mal eine ,Bild am Sonntag' verkaufen, weil die kein Auto hat, mit dem sie kommen kann. Die sagt nur Depp zu mir." Für Ortmann bedeutet die Regelung eine eklatante Ungleichbehandlung und einen erheblichen Wettbewerbsnachteil für die kleineren Betriebe. Selbst wenn er wollte, hat er keinen Platz für ein Bistro oder gar ein Restaurant: "Wir sind auf jeden Kunden angewiesen." So viel sei es ohnehin nicht gewesen, was nach 20 Uhr an Nicht-Motorisierte über den Ladentisch gegangen sei: "Wir machen ja schon um 23 Uhr zu."

Ortmann gehört zu denen, die sich wehren wollen. Er hat neben seiner Kasse Unterschriftenlisten ausgelegt. Sie gehen an den Mineralölwirtschaftsverband (Berlin), der gegen diese bayerische Spezialität klagen will. Die Resonanz hat ihn überrascht: "Ich habe schon zwei Packen hingeschickt."
Natürlich macht ein Verbot nur Sinn, wenn die Beachtung überwacht wird. Das Erwischtwerden kann teuer zu stehen kommen. Bis zu 500 Euro Bußgeld drohen Tankstellenpächtern, die nach 20 Uhr noch an Nicht-Reisende verkaufen. Zuständig für die Kontrollen ist die Kommunale Überwachungsbehörde - im Landkreis Bad Kissingen das Landratsamt: "Wir sind da auf Anzeigen von der Polizei angewiesen, denn wir können uns schon aus personellen Gründen nicht nachts auf die Lauer legen", heißt es dort. Und aus den Zwischentönen ist zu hören, dass die Rechtsaufsichtsbehörde Wichtigeres zu tun hat. Eine Anzeige und einen Bußgeldbescheid hat es bisher noch nicht gegeben. Denn: Wo kein Kläger, da kein Richter.