Kurzweiliges zum Jahresanfang
Autor: Gerhild Ahnert
Bad Kissingen, Sonntag, 03. Januar 2016
Das Neujahrskonzert im Regentenbau hat sich zur Tradition entwickelt. Dazu trägt nicht nur die Musik bei, auch die Plauderer- und Entertainerqualitäten des Dirigenten begeistern.
Alle Jahre wieder am Neujahrsnachmittag laden nun schon seit elf Jahren die Berliner Symphoniker mit ihrem Chefdirigenten Lior Shambadal zum Neujahrskonzert in den Max-Littmann-Saal. Der Saal ist immer sehr gut besucht; die Veranstaltung hat für einige der Zuschauer Kultcharakter.
Der Gründe gibt es viele: Zum einen ist die Marke "Neujahrskonzert" gut eingeführt; zum anderen ist den Menschen aber auch nach einem festlichen Beisammensein zur Feier des neuen Jahres.
So ist dieses Konzert eine Erfolgsgeschichte des "Winterzaubers".
Und dennoch ist es ein bisschen anders als die festlich-feierlichen Weihestunden der klassischen Musik, die aus den Großstädten in die Wohnzimmer ausgestrahlt werden. Denn Shambadal kommt nicht nur mit seinem sehr gut vorbereiteten Orchester nach Bad Kissingen, er selbst ist ein wesentlicher Garant des Erfolgs, ein begabter Plauderer und Entertainer, der ständig Kontakt mit dem Publikum hält.
Wissenswertes und Flunkereien
Er verpackt eine ganze Menge Wissenswertes über die Komponisten mit in seine launigen Ein- und Überleitungen und führt seine Zuhörer auch gerne mit Flunkereien und fantasievoll konstruierten Zusammenhängen aufs Glatteis - wie in diesem Jahr über Johann Strauss Vaters uneheliche Tochter aus seiner Liaison mit Emilie Trampusch, die Schauspielerin Emilie Theresia Johanna, die er um
der Überleitung willen auch zu einer berühmten Sängerin machte - mit Augenzwinkern. Auch Shambadals Programm war zwar eine Nummernfolge mit ein oder zwei Solisten und er bewegte sich durchaus auch im Dunstkreis der berühmten Wiener Walzerkönige. Aber es gab um diese herum andere Schwerpunkte: Im ersten Teil Opern des 19. Jahrhunderts und im zweiten Bizets "Carmen". Drumherum Kompositionen von Strauss Vater ("Neujahrspolka" op. 119) und Strauss Sohn ("Ägyptischer Marsch" op. 335), aber eben nicht die ewig gleichen Gassenhauer, sondern gerade das nicht so häufig Gespielte.
Und Geschichten: Zu der Polka "Piefke und Pufke" op. 235 von Senior Strauss gab er die Geschichte zum Besten, dass das die Spitznamen der zwei jüngsten seiner acht unehelichen Kinder mit Frau Trampusch gewesen seien. Und in das ausgedruckte Programm fügte er eine Walzerfolge von Josef Lanner ein, "Die Romantiker" op. 167, als eine Hommage an den Zeitgenossen von Strauss Vater, dessen Freund und Rivalen und Erfinder des Wiener Walzers.
Wie man Erfolge von Kollegen zu seinen eigenen machen konnte, zeigte er an Johann Strauss Sohns Quadrille nach Verdis Oper "Un ballo in maschera", Op.272, zu deren fünf Teilen Shambadal den Zuhörern jeweils dazu passende italienische Marionetten präsentierte.
Zwiespältiger Eindruck
Durch diese Quadrille und den "Ägyptischen Marsch" verknüpfte der begabte Geschichtenerzähler Shambadal zwei Arien aus italienischen Opern mit der Wiener Welt, Verdis "Aida" und Alfredo Catalanis "La Wally". Für sie hatte er die junge russische Sopranistin Svetlana Kasyan mitgebracht, Absolventin des Staatlichen Moskauer Konservatoriums 2011.
Kasyan hinterließ einen etwas zwiespältigen Eindruck, denn sie kann in den exponierten Tönen, die ihr liegen, ihre Stimme sehr weit öffnen und gut gestalten, wird es etwas tiefer oder schneller, dann wird die Stimme recht klein und wenig flexibel. Auch beim Agieren auf der Bühne wirkten eher die exquisiten Gewänder als die Plausibilität ihrer Bewegungen.
Das galt leider auch für George Bizets "Habanera" aus "Carmen", bei der spanisches Temperament nicht so wirklich zu erkennen war. Sowohl bei den italienischen Arien als auch bei ihren Zugaben, dem "Vilja-Lied" aus Lehárs "Die lustige Witwe" und "Liebe, du Himmel auf Erden" aus der Operette "Paganini" vermisste man ein Sich-Einschwingen in einen mitreißenden Rhythmus der Kompositionen als auch fast durchgehend die Textverständlichkeit.
Als Instrumentalsolistin stellte Shambadal die aus China stammende, in Berlin als Geigenprofessorin an der Musikhochschule "Hanns Eisler" lehrende Zhi-Jong Wang vor, die zu Beginn des ersten Teils Camille Saint-Saëns' "Introduktion und Rondo capriccioso" op. 28 technisch sehr versiert und souverän in der Tongestaltung spielte. Doch hier und auch in der "Carmen-Fantasie für Violine und Orchester" von Franz Waxman staunte man über die fulminante Beherrschung dieser Bravourstücke für Geige, über das mitreißende Finale, doch man vermisste das Sinnliche in Bizets Musik, einen über den Vertracktheiten stehenden Esprit, ein Temperament, das Zhi-Jong Wang nur sehr selten aufblitzen ließ. Ganz in ihrem Element war sie dann in ihrer Zugabe, dem philosophisch-elegischen "The Stream Flows".
Insgesamt gab es acht Zugaben, Shambadal hatte das Publikum von Anfang an dazu angefeuert, den Rekord des letzten Jahres zu übertreffen. Darunter auch die berühmteste Komposition von Johann Strauss Vater, den "Radetzky-Marsch" zum Mitklatschen als sechste und achte Zugabe.
Jubel, Standing Ovations im Saal; einige mussten allerdings schon vorher gehen, denn zwei Reisebusse warteten mit laufenden Motoren auf ihre Gäste.