Druckartikel: Kunstlieder muss man ganz einfach nur erzählen

Kunstlieder muss man ganz einfach nur erzählen


Autor: Thomas Ahnert

Bad Kissingen, Dienstag, 30. Juni 2015

Christoph Prégardien (vorne) und Siegfried Mauser im Kloster Maria Bildhausen
Christoph Prégardien (vorne) und Siegfried Mauser.  Foto: Ahnert


Etwa drei Jahrzehnte sind sie gemeinsam getrennte Wege gegangen: der Bariton Dietrich Fischer-Dieskau und der Tenor Christoph Prégardien. Beide haben die Interpretation des Deutschen Kunstliedes allein schon durch ihre Vorbildwirkung, aber natürlich auch durch ihre Lehrtätigkeit nachhaltig geprägt. Der 2012 kurz vor seinem 87. Geburtstag gestorbene Fischer-Dieskau war schon zu Lebzeiten eine Ikone.

Seine Lehre von der Ästhetisierung des Gesangs durch eine verfeinerte Artikulation hat Generationen von Sängerinnen und Sängern geprägt.
Das Christoph Prégardien vor dieser vorzeitigen Ikonisierung einigermaßen geschützt ist, hat unter anderem einen einfachen Grund: Er hat sich nicht von Dietrich Fischer-Dieskau anstecken lassen, sondern er hat das Kunstlied ins Leben geholt, hat es dadurch auch entmystifiziert und den selbstverständlichen Zu- und Umgang erleichtert. Für ihn steht das Wort im Vordergrund, und der Sänger hat die Aufgabe und Verantwortung, die Vertonung so zu gestalten, dass sie sich auf den Inhalt bezieht. Das muss nicht immer affirmativ sein, sondern es kann auch widersprüchlich sein, wenn es im Zusammenhang steht. Das hat die Konsequenz, dass Christoph Prégardien sein Singen recht frei gestaltet, nicht immer wörtlich den Vorschriften der Komponisten (oder Herausgeber) entsprechend. Aber das Ergebnis ist ein sprechender, erzählender Gesang, dem sich das Publikum leichter öffnet.
Was seine Liedrecitale - dieses Mal wurde er von Mozarteums-präsident Siegfried Mauser begleitet - aber auch zum Erlebnis macht, ist die Beobachtung, dass Christoph Prégardien seine Stimme nie mit unpassenden Partien ruiniert hat. Sie ist über die Jahre enorm flexibel, farbenreich und genau geblieben. Da erinnert er auch an Peter Schreier, der erst mit 70 Jahren seine Bühnenkarriere beendete (bis dahin ist noch viel Zeit!).
Was das alles bedeutet, machte glich Ludwig van Beethovens Zyklus "An die ferne Geliebte" deutlich. Natürlich ist "Nimm sie hin denn, diese Lieder" längst zum Ohrwurm geworden. Aber Prégardien brachte sein Publikum zum Zuhören, weil es es singend ansprach. Auch Texte von Joseph von Eichendorff gehören heute nicht mehr zu dem, womit man sich täglich auseinander setzt. Aber diese naturlyrischen Gedichte wurden auf einmal spannend, weil Prégardien die Treibkraft der Vertonung nutzte, um ihre Inhalte zu erzählen.
Eine kleine Sensation war der Liederzyklus "Das ist menschlich" von Wilhelm Killmayer nach Texten von Heinrich Heine - den Prégardien und Mauser 1992 uraufgeführt haben. Da hatten sich zwei in ihrer Ironie und ihrem Humor gefunden. Das war so auf die Pointen hin komponiert und von beiden Musikern auch spielerisch so gestaltet, dass nicht nur das Publikum mittendrin lachen musste.
Und zum Schluss noch Schuberts Heine-Vertonungen aus dem "Schwanengesang", Eine solche Intensität wie in "Die Stadt" oder "Der Doppelgänger" hat auch ein Dietrich Fischer-Dieskau trotz aller Kunst nicht erreicht.