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Krieg in der Ukraine: Psychologin erklärt, wie man Flüchtlingen helfen kann


Autor: Charlotte Wittnebel-Schmitz

LKR Bad Kissingen, Donnerstag, 10. März 2022

Die Psychologin Dr. Lena Kornyeyeva ist Expertin im Umgang mit Krisen, Schmerz und Verlust. Die Redaktion fragte sie, wie man mit traumatisierten Menschen umgeht, die gerade vor dem Krieg geflohen sind.
Auf der Flucht vor dem Krieg kommen immer mehr Menschen aus der Ukraine nach Deutschland, oft nur mit dem, was sie tragen können.


Dr. Lena Kornyeyeva ist in der Ukraine geboren. Nach Stationen in Kiew und Bremen arbeitet die Psychologin heute in einer Reha-Klinik in Bad Kissingen sowie in ihrer eigenen Praxis für psychologische Beratung. 2009 schrieb sie ein Buch mit dem Titel "Putins Reich - Neostalinismus auf Verlangen des Volkes", in dem sie Putins Machtsystem analysierte.

In der Ukrainer schlagen vor den Augen der Menschen Raketen ein, Häuser und Krankenhäuser werden zerstört, Kinder sterben, im Schnee liegen Leichen. Diese Bilder brennen sich in die Köpfe und Seelen der ukrainischen Bevölkerung ein und gehen um die Welt. Wozu führt das, wenn Menschen solche Kriegserfahrungen machen?

Dr. Lena Kornyeyeva: Es können Zustände wie posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen und Angstzustände auftreten. Gleichzeitig hat ein traumatisierter Mensch auch eine gestiegene Motivation, jetzt erst recht ein neues, sicheres Leben für sich aufzubauen und für das Wohl der eigenen Familie zu sorgen. Ich kenne viele Menschen, die nach einem Kriegserlebnis überdurchschnittlich viel getan haben, um ein sicheres Leben für sich und die Anderen zu ermöglichen.

Wie können die Menschen ukrainischen Flüchtlingen das Ankommen erleichtern?

Indem sie sie als gleichwertig behandeln. Es gibt nichts, was therapeutischer wirkt, als eine im gleichen Maße wertschätzende Haltung zu sich selbst und zu dem Gegenüber - das kommt immer rüber. Die Flüchtlinge erleben gerade einen Riesenverlust in Bezug auf ihr Selbstwertgefühl. Es wird schon eine Zeit dauern, bis sie halbwegs auf Deutsch kommunizieren können, bis sie sich nicht mehr als Menschen zweiter Klasse fühlen. Wertschätzung für beide und von beiden Seiten - das ist jetzt wichtig.

Welche äußeren Bedingungen brauchen traumatisierte und psychisch schwer belastete Geflüchtete?

In erster Linie eine sichere Unterkunft für sich und für die Kinder. Und die Möglichkeit eigenes Geld zu verdienen.

Anderes Beispiel: Dem Vater, der Mutter, den Kindern ist die Flucht gelungen. Aber die Verwandtschaft ist noch in der Ukraine, möglicherweise sogar direkt in Kampfhandlungen verwickelt. Die Menschen sorgen sich um Angehörige, sie haben vielleicht sogar Schuldgefühle, weil sie aus dem Exil das Gefühl haben, nicht ausreichend zu unterstützen. Können Sie unter diesen Umständen in Deutschland überhaupt mental ankommen?

Jedes Trauma wirkt zuerst scheinbar unbeherrschbar, unser Gehirn ist jedoch enorm flexibel und anpassungsfähig. Manchen Menschen gelingt der Umgang mit der Situation schwerer als anderen - das war immer so. Aber diejenigen, die damit nicht klarkommen, sollten nicht zögern, sich psychologische Hilfe zu suchen.

Worauf lassen sich Menschen ein, die ukrainische Flüchtlinge bei sich zuhause aufnehmen?

Vor allem möchte ich sagen: Ich bin berührt und beeindruckt von der Haltung der vielen Deutschen, die sich in diesen Tagen sehr engagieren! Die Gefühle, die sie erleben sind Mitleid, Trauer, Bedauern. Wichtig ist hier das Folgende zu berücksichtigen: Die Helfer sollen auch ihre eigenen Kapazitäten adäquat einschätzen, damit sie nicht emotional ausbrennen. Die Fähigkeit, Mitleid zu erleben, macht uns zu Menschen, eine konstante Selbstaufopferung macht uns jedoch weniger fähig, helfen zu können.

Schilderungen von traumatisierten Geflüchteten können möglicherweise sehr belastend für die Helfer und Helferinnen sein. Wie merkt man, dass man selbst etwas Abstand gewinnen muss, weil einen das Schicksal der Flüchtlinge selbst sehr mitnimmt?

Wenn die Helfer stark mitleiden und wenn sie die Grenze zwischen ihrer und der anderen Person nicht mehr spüren, dann wird es eher kontraproduktiv. Die Helfer sollten sich nicht vergessen. Wenn sie merken, dass sie für sich selbst nicht mehr gut sorgen und sich überlastet fühlen, sollten sie sich eine Erholungsphase gönnen. Jeder soll seine Autonomie, eine angemessene Selbstfürsorge und eine selbstwertschätzende Haltung beibehalten - das wirkt als wahre Unterstützung auch auf die Anderen.

Gleichzeitig ist es für beide Seiten wichtig, Emotionen abzureagieren, um sich damit nicht allein gelassen zu fühlen. Eine gelungene Kommunikation ist hier notwendig, ein Dolmetscher eventuell. In Bad Kissingen und Umgebung gibt es viele Personen, die Russisch oder Ukrainisch sprechen, die also beim Übersetzen helfen können.

Manche Flüchtlinge sind möglicherweise nur knapp dem Tod entkommen, das Haus und die Stadt, wo sie jahrelang ein zuhause fanden, liegt in Schutt und Asche. Lebenspläne, die Menschen über Jahrzehnte lang aufgebaut haben, sind zerstört. Wie lange brauchen Menschen durchschnittlich, um sich von so etwas zu erholen?

So eine dramatische Veränderung des Lebens "mischt die Karten neu" - Manche sind am Boden zerstört, müssen wieder zu sich kommen, andere lernen recht schnell das Leben neu zu schätzen. Auch das ist ein ganz individueller Prozess.

Manche ukrainische Flüchtlinge sagen vielleicht: "Ich kann nichts machen, ich kann nur hoffen." Können Helfer etwas tun, damit Flüchtlinge nicht nur das Gefühl haben, zu warten und nichts machen zu können, bis der Krieg vorbei ist?

Ich kenne die Ukrainer als sehr tüchtige Menschen und die Gesetzeslage ist nun anders als bei den syrischen Flüchtlingen. Wenn die Ukrainer hier ihr Geld verdienen können, werden sie für sich selbst gut sorgen.

Wie erleben Sie persönlich den Krieg in der Ukraine?

Er bereitet mir großen Schmerz. Und obwohl ich diesen Krieg früher oder später erwartet habe, so bin ich doch schockiert. Ich kommuniziere jetzt viel mit meinen Bekannten in Kyiv, Odessa und Melitopol und der Geist dieser Menschen ist sehr beeindruckend. Wenn ich mich aussprechen will, finde ich große Unterstützung bei meinem deutschen Mann, der die Situation gut kennt und selbst mehrfach in der Ukraine war, trotz allem hoffe und glaube ich, dass diese Erfahrung unsere Gesellschaften langfristig sicherer und wertschätzender machen wird.

Was bedeutet Krieg für Sie als Psychologin? Was macht Ihnen am meisten Sorgen?

I ch mache mir Sorgen, dass eine traumatisierte Generation von Ukrainern ihre Ängste an Kinder und Kindeskinder weitergibt. Ich mache mir Sorgen, dass auch Europa und Deutschland bedroht und unterminiert sind - durch russische Propaganda, durch die Russland-Abhängigkeit mancher deutscher Politiker und durch die Energie-Abhängigkeit des Landes. Niemand kann jetzt ausschließen, dass sich Putins Krieg nicht weiter in den Westen frisst.

Das Gespräch führte Charlotte Wittnebel-Schmitz.