Kraft aus der Ruhe
Autor: Thomas Ahnert
Bad Kissingen, Montag, 06. Juli 2015
Sakari Oramo und das BBC Symphony Orchestra London begeisterten auch bei ihrem zweiten Konzert das Publikum.
Nach dem großartigen Konzert am Mittwoch war man natürlich am Freitagabend mit hohen Erwartungen in den Großen Saal gekommen. Und das BBC Symphony Orchestra London und sein Chefdirigent Sakari Oramo knüpften dort an, wo sie zwei Tage vorher mit Elgar aufgehört hatten: ganz oben.
Dass auf Elgars Zugabe jetzt das Vorspiel zu Richard Wagners "Meistersingern von Nürnberg" folgte, entbehrte nicht einer gewissen Logik.
Denn in Oramos Interpretation wirkte diese Ouvertüre wie eine deutsche Antwort auf den so beliebten "Pomp & Circumstance March No. 1" des Briten. Denn er hatte sich offenbar von allen historisch gewachsenen Vorbelastungen frei gemacht und die Musik so gesehen, wie sie ist: als Vorspiel zu einer Oper, die von Wagner durchaus auch humorvoll gemeint war.
Da wurde nicht die pathetische Keule geschwungen, was bei einem klaren C-dur auch zu viel Kraft erfordern würde, da wurde die Musik nicht weihevoll breit getreten, sondern da wurde enorm frisch musiziert. Und das Orchester konnte einmal mehr beweisen, wie durchhörbar es auch im Getümmel sein kann.
Einvernehmliche Konzeption
Sogar bei Felix Mendelssohn-Bartholdys höchst bekanntem e-moll-Violinkonzert konnte man an diesem Abend noch Entdeckungen machen. Die größte war die Solistin: Die junge Russin Alina Ibragimova spielte mit einem wunderbaren, lyrischen Ton wirklich jede Note, die Mendelssohn zu Papier gebracht hat - was keine Selbstverständlichkeit ist. Und sie ließ sich auch von Oramos flotten Tempi in den Ecksätzen nicht aus der Ruhe bringen. Und sie teilte mit dem Dirigenten die Konzeption, die Musik aus dem Leisen zu entwickeln und ihre Kraft konstruktiv zu nutzen, was man mit einem Orchester, das ohne Substanzverlust so leise spielen kann wie die Londoner, auch wirklich gut machen kann. So entwickelte sich ein geistreiches, temporeiches Spiel mit vielen Dialogen vor allem mit den Holzbläsern, das in seiner Unverkrampftheit wie selbstverständlich und höchst unterhaltsam wirkte. Als Zugabe spielte Alina Ibragimova die überraschend deutlich auf die Darstellung der Themenverläufe gerichtete Gavotte aus der E-dur-Partita von Bach.
Die junge Sopranistin Sumi Hwang hatte im letzten Jahr in "L'elisir d'amore" als Gianetta auf sich aufmerksam gemacht. Jetzt stellte sie sich mit zwei Arien von Mozart vor. Sie hat wirklich eine vielversprechende Stimme, und in "Come scoglio resto immota" aus "Così" gestaltete sie den inneren Kampf gegen die verführerischen Attacken Guglielmos mit großem Trotz und stimmlichem Nachdruck. Bei "Ach, ich fühl's" aus der "Zauberflöte" sang sie zwar mit einem sehr innigen, aber etwas linearen Ton. An die großen Emotionen der Verzweiflung traute sie sich noch nicht ganz ran. Vielleicht war sie nur noch nie unglücklich verliebt.
Dirigent mit Geduld
Was bei der 2. Sinfonie von Johannes Brahms gleich zu Beginn auffiel: Sakari Oramo kann warten. Das kam dem geradezu novellistischen Einstieg des ersten Satzes in ein vermeintlich bereits laufendes Geschehen sehr zugute. Die Musik konnte sich entwickeln, konnte sich finden, und auch der Zuhörer konnte sich einrichten. Erst als die Streicher mit ihrem großen Thema kamen, zog Oramo die Dynamik an, die alleine schon deshalb stark wirken konnte, weil sie sich nicht gegen vorschnelle Gewichtungen durchsetzen musste.
Wieder waren es die ganz klaren Strukturierungen und der unverschleiernde Zugriff, den das Orchester fand, die durch alle Sätze das Interesse am Fortgang der Musik hellwach hielten. Natürlich sind viele der Themen bekannt, aber man konnte auch neue entdecken und ihre Zusammenhänge entdecken. Und plötzlich bemerkte man, dass auch eine Brahms-Sinfonie eine Gute-Laune-Musik sein kann.
Die Zugabe war natürlich auch von Brahms: sein Ungarischer Tanz Nr. 1, und zwar, endlich einmal, nicht mit der Peitsche tot geritten, sondern wirklich musikalisch gestaltet.