Kissinger Sommer: Programm mit Kuriositäten
Autor: Thomas Ahnert
Bad Kissingen, Dienstag, 19. Juli 2022
Das Julia Fischer Quartett sorgte für ein volles Haus, obwohl unter anderem ein sehr schwermütiges Stück von Alfred Schnittke gespielt wurde.
Beim Kissinger Sommer scheint sich zunehmend ein Kammermusik-Publikum zu finden, wenn man die Füllstände des Rossini-Saals betrachtet. Dass er ausverkauft war, hat es in der Vorcoronazeit eigentlich nicht gegeben. Allerdings konnten die Angebote auch da Interesse mobilisieren wie jetzt am Nachmittag des letzten Festival-Samstags: Die Geigerin Julia Fischer war mit vier Kollegen gekommen: Alexander Sitkovetsky (Violine), Nils Mönkemeyer (Viola), Friedrich Thiele (Violoncello) und William Youn (Klavier). Und mit einem Programm, das nicht nur zwei Monumente der Kammermusikliteratur enthielt, sondern auch zwei Kuriositäten.
Die erste gleich zu Beginn: Antonín Dvořáks "Maličkostí" oder auch "Bagatellen" - ein Name, den die fünf Sätze nicht zu Unrecht tragen. Denn er schrieb sie für die Hausmusik bei einem Nachbarn, der offenbar im Besitz eines Harmoniums war, denn die Originalbesetzung sieht es vor neben zwei Violinen und Violoncello (Nils Mönkemeyer musste also noch warten). Heute wird es gerne der Einfachheit halber durch ein Klavier ersetzt, was kein Nachteil ist, denn das gibt der Musik stärkere Konturen. Und Dvořák hatte natürlich die Zielgruppe im Auge.
Die ersten beiden Bagatellen sind getragen von einer harmlosen kleinen Melodie beziehungsweise einer chromatischen auf- und absteigenden Linie. Aber dann muss er gemerkt haben, dass er etwas mehr verlangen sollte, und er schraubte die Anforderungen nach oben. Und das Quartett machte daraus Musik mit einer höchst abwechslungsreichen Dynamik und kleinen dramatischen Ausbrüchen, allerdings immer geschickt darauf achtend, dass in die Musik nicht mehr hineingeheimnisst wird, als drin ist.
Alles andere als kurios war das zweite Werk, das berühmte Klavierquintett von Alfred Schnittke, das er schrieb, als seine Mutter und auch Dmitri Schostakowitsch gestoben waren. Das ist durchgehend derart schwermütig, dass Nils Mönkemeyer sich genötigt sah, das Publikum vorzuwarnen: "Wenn Sie nach 22 Minuten das Gefühl haben, dass es jetzt zu viel wird, dann hat die Musik ihr Ziel erreicht." In der Tat ist diese Musik, die sich jeder Melodie verweigert, nicht ganz einfach zu ertragen. William Youn begann tastend, zögernd, erzeugte mit langen Nachhall-Überlagerungen eine fahle, beklemmende Stimmung.
Als die vier Streicher einsteigen, hellt sie sich keineswegs auf. Im Gegenteil: Mit Klangflächen oder Clustern, die keinerlei vertraute Harmonien zum Festhalten bieten, sondern mit enormen Reibungen, Vierteltonintervallen und toten, vibratolosen Tönen noch ein enormes Gewicht drauflegen - durch mehr oder weniger das gesamte Werk.
Wenn im zweiten Satz mal Walzeranklänge auftauchen, wirken sie nicht als Aufheller, sondern man denkt sofort an Totentanz. Erst ganz zum Schluss taucht im Klavierdiskant eine kleine, berühmt gewordene Melodie, die die Streicher übernehmen. Und plötzlich ist auch das lebendige Vibrato wieder da.
Bei aller Schwermut kam man nicht umhin, die vier Streicher - das Klavier kann ja nur die Töne spielen, die es hat - zu bewundern für die Präzision, mit der sie ihre Ganz-, Halb- und Vierteltöne aushorchten und zusammenfügen, welch enorme Konzentration sie dafür ohne größeres Auslassen aufbringen mussten. Und für die Intensität, mit der - jetzt alle fünf - sie mit dynamischen und klangfarblichen Veränderungen die lastende Stimmung, nicht zuletzt mit dem wiederkehrenden Herzschlagmotiv, vermittelten.