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Kissinger Arbeitsmarkt ist besser als er aussieht


Autor: Edgar Bartl

Bad Kissingen, Donnerstag, 29. August 2013

In der Region ist der Kreis Bad Kissingen ei den Arbeitsmarktzahlen traditionell das Schlusslicht. Im bundesweiten und europäischen Vergleich aber steht er glänzend da. Das Potenzial soll noch stärker genutzt werden.
Immer mehr Menschen werden immer älter. Pflegekräfte haben daher und auch in der Zukunft hervorragende Chancen im Berufsleben. Foto: Edgar Bartl


4,0 Prozent Arbeitslose: Damit hat in der Region der Flächenlandkreis Bad Kissingen wieder die "rote Laterne". Thomas Stelzer, der Leiter der Agentur für Arbeit in Schweinfurt, spricht allerdings von einer "guten Quote". Allerdings wolle man sie noch verbessern. Potenzial sieht Stelzer vor allem im Pflegebereich.

Folgt man ihm, dann hat Ivonne Hüfner auf das richtige Pferd gesetzt, als sie sich zur Altenpflegerin ausbilden ließ. Dieser Beruf habe Zukunft, es gebe

immer mehr und immer Ältere. Derzeit sei keine examinierte Pflegekraft arbeitslos gemeldet , sagt Marco Beier, Chef der Bad Kissinger Arbeitsagentur, aber 18 Stellen seien aktuell zur Besetzung ausgeschrieben. Der Mangel an Fachkräften nehme dramatische Formen an.

"Einen Wechsel überlegen"

Im September beginne wieder ein dreimonatiger Kurs für Betreuungs- und Pflegeassistenten. In den Vorjahren sei das Interesse immer groß gewesen. Thomas Stelzer und Marco Beier wissen aber auch, dass Pflege nicht jedermanns Sache ist, eine "gewisse Neigung" müsse schon vorhanden sein. "Wir drängen aber niemanden hinein." Beide appellierten an Interessenten, sich einen Wechsel zu überlegen. Denn alle hätten erkannt, dass sich hier etwas tun muss.

Der zweite Schwerpunkt ist die "Initiative junge Erwachsene". Sie richtet sich an "Spätberufene". Rudolf Fella (Job-Center) schildert einen Fall aus der Praxis: Paul M., 28 Jahre und verheiratet, sieht ein, dass er so "blöd" war, keine Ausbildung zu machen. Er schlägt sich als Bauhelfer mehr schlecht als recht durch. Das sei auf Dauer keine Lösung, zumal die junge Familie Kinder will. Die Jugendsünden, so Rudolf Fella, haben M. eingeholt. M. unterzieht sich Tests auch beim Psychologischen Dienst. Dann steht fest, er ist für eine Lehre zum Industriemechaniker in einem Großbetrieb geeignet. M. bekommt Arbeitslosengeld und einen kleinen Zuschlag. Nach zwei Jahren besteht er die Gesellenprüfung. Rudolf Fella: "Der wird die Arbeitsagentur nie mehr brauchen."

"Sehr erfreuliche Entwicklung"

Das gilt für mehr Menschen im Landkreis, als man allgemein annimmt. Die Agentur, Job-Center (Hartz IV) und Landratsamt haben den lokalen Arbeitsmarkt einmal genau unter die Lupe genommen. Thomas Stelzers Fazit: "Bad Kissingen steht gut da." Die Arbeitslosenzahlen - 2012 im Jahresdurchschnitt: 4,3 Prozent - liegen 50 Prozent unter der auf Bundesebene (6,8 Prozent), die Lage sei stabil, die Entwicklung "insgesamt sehr erfreulich".

Landrat Thomas Bold (CSU) verwies auf die gravierenden Veränderungen in den vergangenen Jahrzehnten mit Grenzöffnung, Truppenabbau, Problemen in der Schweinfurter Großindustrie und Reformen im Gesundheitswesen. In den 90er Jahren seien die Übernachtungszahlen deutlich höher gewesen. Die Zahl der Einwohner sei von fast 110.000 auf 103.100 gesunken. 2030 würden hier nur noch 93.000 Menschen leben. Das Minus betrage 10,6 Prozent, bundesweit sind es 5,4 Prozent.
 
21 300 Pendler

Thomas Stelzer und Rudolf Fella sehen hier eine Chance, die Arbeitslosenquote noch weiter zu senken und auch einen Teil der Pendler zurückzuholen: 1999 gab es 4000 weniger als heute. 14.500 pendeln aus dem, 6800 aber in den Kreis Bad Kissingen. Das kostet sie viel Zeit und immer mehr (Benzin-)Geld.

Nach Angaben von Thomas Stelzer ist die Wirtschaft angesichts einiger Besonderheiten weniger konjunkturanfällig und stabiler als im Raum Schweinfurt oder in den Haßbergen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat sich trotz sinkender Bevölkerungszahlen auf 37.900 erhöht. Bei diesem Zuwachs habe der Landkreis das Niveau von Bayern und der Bundesrepublik erreicht.

2500 Stellen sind unbesetzt

Auch der Ausblick von Thomas Stelzer fällt insgesamt positiv aus. Er erwartet zwar bei den Stellenmeldungen einen leichten Rückgang. Aber aktuell seien 2500 Angebote noch offen. Das sei ein "Riesenpotenzial".
Fachkräfte würden von der Gesundheitsbranche, dem Handwerk, von Hotels und Gaststätten dringend gesucht. Schwierig sei allerdings der kaufmännische Bereich. Als positiv bewertet er es, dass die Betriebe nicht entlassen, sondern lieber auf Kurzarbeit setzen. Sie gingen von einem vorübergehenden Auftragsmangel aus.

Dominanz Die Branchenstruktur im Kur- und Fremdenverkehrslandkreis ist geprägt von einigen Besonderheiten. An erster Stelle steht, wenig überraschend, das Gesundheits- und Sozialwesen mit 7138 Beschäftigten. Dann aber folgen schon verarbeitendes Gewerbe (5918 Mitarbeiter) und die Baubranche (3708). Das Gastgewerbe (1638) liegt auf Rang sechs noch nach Handel (3566) sowie öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung (2560). Hier wirken sich die beiden Bundeswehrstandorte aus.

Vergleich Das Baugewerbe hat im Landkreis einen Beschäftigungsanteil von 11,93 Prozent. Bayern- und bundesweit sind es 5,8 Prozent. 22,99 Prozent der 31 053 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeiten hier im Gesundheits- und Sozialwesen. In Bayern sind es 11,67, in Deutschland 12,72 Prozent. Ähnlich sieht es im Gastgewerbe mit 5,27 Prozent (gegenüber 3,12 beziehungsweise 3,38). Beim verarbeitenden Gewerbe reicht Bad Kissingen (19,06) an die Zahlen von Bund (22,51) und Land (26,88) nicht heran