Keine leichte Opernkost
Autor: Thomas Ahnert
Bad Kissingen, Donnerstag, 07. Juli 2016
Norma Fantini und Robert Dean Smith waren die Solisten in einem Konzert, das in menschliche Abgründe führte.
Das war bestimmt keine leichte Kost. Die "Mailänder Operngala" war kein Wunschkonzert, kein Lieferant von Ohrwürmern oder Gassenhauern. Wer immer das Programm zusammengestellt hatte, hatte Wert gelegt auf Arien und Duette, die tiefer gehende Probleme wälzen in Opern, die nicht gut ausgehen. Da entsteht keine Stimmung, in der sich der große Jubel breit macht, da ist auch der Beifall ernster.
Massimiliano Murrali stand am Pult des Orchestra dell'Accademia del Teatro alla
Scala di Milano, also sozusagen des Ausbildungsorchesters des Mailänder Opernhauses. Das war nicht die schlechteste Verbindung. Denn Murrali ist ein außerordentlich erfahrener Opernmensch, der sehr genau weiß, wie man Sänger und Orchester zusammenhält, der beide Seiten fordert, ohne sie zu überfordern. Und man merkte auch dem Orchester an, dass es gelernt hat, Opern mit ihren besonderen Bedingungen zu spielen.
Die jungen Leute wussten, wie wichtig eine aufmerksame Spontaneität im Blick auf den Dirigenten ist. Murrali hatte keine Probleme, den Solisten ein paar Freiheiten zu lassen, weil er sich auf das Orchester verlassen konnte.
Überlegene Gestalterin
Die beiden Solisten waren beide nicht das erste Mal beim Kissinger Sommer. Die Sopranistin Norma Fantini präsentierte sich schon im letzten Jahr als überlegene Gestalterin.
Und das war sie auch dieses Jahr wieder. Sie kann mit ihrer Stimme spielen, sie kann starke Emotionen und ihre Brüche gestalten und muss dabei keine Rücksicht auf technische Bedenken nehmen. Das virtuos Spektakuläre ist ihre Sache nicht; sie legt mehr Wert auf die Inhalte.So entstanden Interpretationen von größter Dichte und Spannung. Wie in "L'altra notte in fondo al mare" aus Arrigo Boitos "Mefistofele", in dem Margherita im Kerker nach dem Tod ihres Kindes und ihrer Mutter sich mit voller Kraft ihren Schmerz von der Seele singt. Aber man merkt, dass das eigentlich nur innerlich geschieht. Oder bei "Ebben? Ne andrò lontana" aus Alfredo Catalanis "La Wally", in der sie tief in die düstere Gedankenwelt der vom Hof Verjagten eindringt. Oder bei "Un bel di vedremo" aus Giacomo Puccinis "Madama Butterfly", in der Cio-Cio-San ihrem Kind erzählt, dass sein Vater, der Leutnant Pinkerton, bestimmt einmal wiederkommt, sie selbst aber nicht davon überzeugt ist. Da dringt Norma Fantini in die innersten Bereiche ihrer Figuren.
Wundersame Wandlung
Bei Robert Dean Smith musste man in anderer Weise gespannt sein.
Bei seinem letzten Kissinger-Sommer-Auftritt vor ein paar Jahren hatte er in der Höhe stark forcieren müssen, hatte er zum Schreien geneigt. Man hatte das damals insgeheim auf sein Alter zurückgeführt. Aber mittlerweile ist er 60. Nur: Dieses Forcieren ist völlig verschwunden; die Stimme ist auch in der Höhe elastisch, und Robert Dean Smith kann auch in der Höhe ein Decrescendo singen.Was bei ihm geblieben ist - und das ist gerade unter Amerikanern weit verbreitet - ist sein statuarisches Singen. Wenn er nicht wie in der Oper mit ihrer Spielhandlung einen Regisseur hat, der ihm sagt, wann er wohin gehen soll, dann neigt er zum gestischen Erstarren, und das wirkt sich auch auf die Singhaltung aus. Das Gebet des Cola Rienzi aus Richard Wagners früher Oper "Rienzi" singt er intonatorisch ausgezeichnet, aber wie einen Rapport. Da bekommt man nicht den Eindruck, dass der Volkstribun in eine brenzlige Situation geraten ist, aus der ihm sein Gott heraushelfen soll. Auch bei "Cielo e mar" aus Amilcare Ponchiellos "La Gioconda" hat man bei aller Flexibilität des Singens nicht das Gefühl, dass da ein verliebter Enzo wartet, dass seine Geliebte an Bord kommt.