Junge Familie in Bad Kissingen: Amt erzwingt Kündigungen
Autor: Ralf Ruppert
Bad Kissingen, Freitag, 21. Dezember 2018
Eine ukrainische Familie kommt seit Jahren ohne staatliche Hilfe aus, jetzt wird ihr die Lebensgrundlage entzogen. Mit Kommentar.
Janina Ehrenberg ist fassungslos: "Julia will arbeiten, genau solche Leute brauchen wir in unserem Land", sagte die Friseurmeisterin. Gemeint ist Julia Nigrezkul. Über Zirndorf und Volkers kamen die 30-Jährige und ihr Ehemann Aleksej Forostjanow (45) nach Bad Kissingen. Beide arbeiten seit dreieinhalb Jahren, versorgten sich selbst, zahlten Steuern und Sozialabgaben. Seit allerdings die Ausländerbehörde vor vier Wochen ihre Kündigungen erwirkt hat, hat die Familie täglich Angst vor Abschiebung.
Die junge Familie ist gut integriert, Julia Nigrezkul arbeitete bis zur Geburt ihrer jüngeren Tochter Tanyuscha im Juni bei Janina Ehrenberg. "Wir brauchen Julia", sagt die ehemalige Chefin, und: "Aber das Amt macht's mir schwer." Ende November schrieb die Ausländerbehörde beide Arbeitgeber des Ehepaares an: Weil der Asylantrag abgelehnt wurde, müssten sie ihren Mitarbeitern kündigen. Ansonsten drohen mehrere tausend Euro Bußgeld.
Also gab es fristlose Kündigungen, Aleksej Forostjanow war bei einem Großhandelsunternehmen mit Sitz in Schildeck beschäftigt. Auch sein Arbeitgeber wartet auf ihn, berichtet der Familienvater. Seine Ausbildung als Groß- und Außenhandelskaufmann wurde offiziell anerkannt. Nun steht das Ehepaar komplett ohne Einnahmen da, denn: Obwohl sie Steuern und Sozialabgaben zahlen, bekommen sie nichts vom Staat: Weder Kindergeld für die beiden Töchter, noch Elterngeld. "Das Mutterschaftsgeld war die einzige Zahlung, die wir bekommen haben", berichtet Julia Nigrezkul in ihrem sehr guten Deutsch. Es wird acht Wochen vor und sechs Wochen nach der Geburt gezahlt. Das Zentrum für Familie und Soziales kündigte immerhin an, dass der Elterngeld-Antrag noch einmal geprüft wird.
Aktuell ist die Familie immer für einen Monat geduldet. "Ich habe ein Kleinkind und ein Kind in der 1. Klasse, aber weiß nicht, wie lange das Geld reicht, um etwas zu essen zu kaufen", sagt Julia Nigrezkul und ringt mit den Tränen. Außerdem hat sie einen Meisterkurs begonnen: Ihre Ausbildung sei zwar nicht offiziell anerkannt, aber weil sie mehrere Preise als Stylistin gewann, nahm sie die Meisterschule auf.
Ein Verfahren läuft noch
Die Familie sei "mit Ausnahme des jüngsten Kindes vollziehbar ausreisepflichtig", teilt die Regierung von Unterfranken auf Nachfrage mit. Der Asylantrag sei im August 2017 abgelehnt und die Klage gegen den Bescheid im September abgewiesen worden. Am 15. November wurde auch die Berufung abgelehnt. Mittlerweile wurde auch der Asylantrag der in Deutschland geborenen Tanyuscha abgelehnt, hier läuft allerdings noch eine Klage. "Aufgrund des noch laufenden Asylverfahren des jüngsten Kindes ist der Rest der Familie geduldet", fasst Johannes Hardenacke, Sprecher der Regierung von Unterfranken die Situation der Familie zusammen, und: "Eine Abschiebung droht derzeit nicht." Wie lange das so bleibt, kann aber auch er nicht sagen.
"Nach derzeitiger Rechtslage hat die Familie keine Bleibeperspektive", betont Hardenacke. In Unterfranken gab es laut Hardenacke heuer bisher 13 Abschiebungen in die Ukraine, insgesamt wurden 181 Menschen aus Unterfranken abgeschoben. Bei Abschiebungen werde meist auch eine befristete Wiedereinreise-Sperre verhängt. Dagegen könne die Familie nach einer freiwilligen Ausreise ein Visum beantragen und unter bestimmten Umständen wieder zurückkehren (siehe auch Kommentar auf ).
"Die Beschäftigungserlaubnisse waren an die Aufenthaltsgestattungen gebunden", kommentiert Hardenacke die erzwungenen Kündigungen. Vielleicht könnten sie weiter arbeiten, allerdings fordert die Ausländerbehörde dafür unter anderem Reisepässe. "Wir haben Pässe beim Konsulat beantragt", betont Julia Nigrezkul. Wie schwierig die Beschaffung von Dokumenten ist, weiß Michael Frank vom Büro der SPD-Bundestagsabgeordneten Sabine Dittmar: "Für viele in der Ukraine sind Flüchtlinge Landesverräter." Dittmar und ihre Bundestagskolleginnen Dorothee Bär (CSU) und Manuela Rottmann (Grüne) haben angeboten, dass sich die Familie an sie wenden kann.