Gilt das Zitat des im KZ ermordeten Theologen Dietrich Bonhoeffer immer noch: "Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen"?
Ich denke, es ist ein gutes Zitat. Dass Dummheit nicht der einzige Grund ist, wenn's auf der anderen Seite zu Macht kommt, ich glaube, das ist klar. Dass es aber etwas ist, was Macht, falsche Macht fördern kann, wie es Bonhoeffer hier ausgedrückt hat, ist ein Satz, der heute genauso Gültigkeit hat.
Jenseits der Masse der Mitläufer gibt es aber auch die, die voran gehen: Ist es nicht gefährlich, Rechtsextreme zu unterschätzen? Macht Bildung wirklich immun gegen Faschismus, Antisemitismus und andere menschenverachtende Ideologien?
Bildung ist ein Punkt, der wichtig ist. Bildung alleine ist sicherlich nicht das, was Radikalismus, was Fremdenfeindlichkeit, was Antisemitismus ausmerzen kann. Es gibt, und das kennen wir aus einer ganz aktuelle Studie, die dieser Tage erschienen ist, in der so genannten Bildungselite, hier wurde Bildungselite definiert mit Menschen, die ein jährliches Einkommen von mehr als 100 000 Euro haben, sind es immerhin auch 18 Prozent der Menschen, die klassische antisemitische Vorurteile hegen. Also: Bildung ist ein Stein, mehr als ein Mosaikstein, aber einer unter vielen anderen.
Sie haben es in Ihrem Vortrag erwähnt, wie sorgenvoll blicken Sie darauf, dass ausgerechnet ein Geschichtslehrer in Thüringen bei einer rechtsextremen Partei Spitzenkandidat ist?
Es ist etwas, was mich schockiert, dass ein Gymnasiallehrer für Geschichte in einer Partei wie der AfD eine führende Position einnimmt und dabei auch sich nicht davor scheut, geschichtsvergessene Zitate von sich zu geben und zu relativieren. Da mache ich mir ein bisschen Sorgen. Er exponiert sich in einer Partei. Ich hoffe, ich hoffe sehr, dass er ein Einzelfall ist unter den Lehrern und dass es nicht noch mehr Lehrer gibt mit ähnlichem Gedankengut, die dann genau da Bildung vermitteln wollen. Dabei möchte ich nicht ahnen oder denken, was aus einer solchen Bildung dann werden kann.
Vor kurzem habe ich zufällig eine Klasse der David-Schuster-Realschule getroffen und nach dem Namensgeber ihrer Schule gefragt: Keiner wusste, dass ihr Vater 1910 in Brückenau geboren und was ihm angetan wurde. Sind wir heute zu geschichtsvergessen?
Also der Fakt, dass sie nicht unbedingt wussten, dass mein Vater in Brückenau, heute Bad Brückenau, geboren wurde, das sehe ich nicht so dramatisch. Ich bin im Röntgen-Gymnasium in Würzburg in die Schule gegangen, ich weiß, dass Röntgen die Strahlen in Würzburg entdeckt hat, aber wenn sie mich jetzt fargen, wo er geboren wurde: Das könnte ich Ihnen auch nicht sagen. Die Frage allerdings der persönlichen Lebensgeschichte ist schon irritierend, wenn die Schüler die nicht wussten. Vor allem deckt es sich nicht mit meinen Erfahrungen, die ich mit der Schulleitung und auch Schülern der David-Schuster-Realschule gemacht habe.
Humanistische Gymnasien gibt es selbst in Bayern so gut wie gar nicht mehr, Schulen sollen doch heute möglichst effektiv auf den Beruf vorbereiten: Gibt es Ihrer Meinung nach noch ein ausreichendes humanistisches Bildungsideal und haben vermeintliche Nebenfächer wie Geschichte und Ethik darin einen festen Platz?
Ich denke, dass es hier Lücken gibt, gerade das Thema Judentum. Judentum wird häufig nur in der Opferrole, in Zusammenhang mit der Shoah, im Zusammenhang mit 1933 bis 1945 erwähnt. Dass jüdische Menschen einen großen Einfluss auf die kulturelle Entwicklung in Deutschland genommen hatte, dass Albert Einstein Jude war zum Beispiel, das kommt viel zu kurz und hier bedarf es sicherlich Änderungen in den Lehrplänen - unabhängig, ob es sich um ein mathematisch-naturwissenschaftliches, ein neusprachliches oder eben ein humanistisches Gymnasium handelt.
Und noch ein Blick auf die aktuelle Lage: Wie tief hat die Tat von Halle die jüdische Gemeinschaft erschüttert und wie haben Sie die Solidaritätsbekundungen - etwa auch des aus Hammelburg stammenden Theologen Burkhard Hose und vieler anderer in Unterfranken - wahrgenommen?
Der Anschlag auf die Synagoge in Halle hat - gerade am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur - die jüdischen Menschen und die jüdische Gemeinschaft in erheblichem Maße verunsichert. Ich denke aber, dass es hier gelungen ist, mit einer ganz klaren Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen - in den Bundesländern, wo es noch nicht so war, wie es hätte sein sollen, da waren wir in Bayern sicher immer schon einen Schritt weiter voraus in der Hinsicht - die klaren Bekenntnisse haben dazu geführt, dass ich glaube, dass dieses keine Verunsicherung ist, die längerfristig anhält. Was die Solidaritätsbekundungen angeht - Sie haben Pfarrer Hose erwähnt, als einen - hat mich das im positiven Sinne sehr überrascht, wie viele Solidaritätsbekundungen auch ich persönlich bekommen habe, auch von Menschen, die ich überhaupt nicht kenne. In dieser Form, in dieser offenen und nach meinem Empfinden ehrlichen Form habe ich das bisher nicht erlebt, und das ist doch ein positives Signal.
Das Gespräch führte Redakteur Ralf Ruppert.