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Josef Schuster: Der letzte Jude in Bad Brückenau


Autor: Ulrike Müller

Bad Brückenau, Mittwoch, 21. August 2013

Er ist wohl der letzte Jude, der in Bad Brückenau übrig geblieben ist. Josef Schuster hat zwar nur noch Nebenwohnsitz angemeldet, trotzdem verbindet ihn eine lange Geschichte mit der Kurstadt.
Diese Gedenktafel am Alten Rathaus erinnert an die Juden, die einst in Bad Brückenau lebten. Foto: Ulrike Müller


Josef Schuster ist der Nachfahre einer bedeutenden Bad Brückenauer Familie, die vor hundert Jahren das jüdische Leben in der Kurstadt maßgeblich mitbestimmte. Heute führt Schuster eine internistische Praxis in Würzburg und steht der Israelitischen Kultusgemeinde in Würzburg und Unterfranken vor. Außerdem ist Schuster der Präsident des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Bayern und engagiert sich als Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland.

Im Interview spricht Josef Schuster über die Geschichte seiner Familie, Stolpersteine und seine Identität als Franke.

Herr Schuster, Ihre Familie hat eine lange Tradition in Bad Brückenau. Sie selbst sind aber in Haifa, Israel, geboren. Verbindet Sie noch was mit der fränkischen Kurstadt?
Josef Schuster: Mit Bad Brückenau verbindet mich einiges. Zum einen gehören mir vier Anwesen im Bereich Ludwigstraße und Unterhainstraße. Zum anderen habe ich einen Sommer dort gelebt. Das war in den 1960er Jahren. In Ermangelung eines Pächters beschlossen meine Eltern, das Zentralhotel eine Saison selber zu führen.

Als die Synagoge vor 100 Jahren eingeweiht wurde, blühte das jüdische Leben im Ort. Können Sie mir kurz beschreiben, welche Rolle Ihre Familie damals spielte?
Mein Großvater Julius Schuster führte das einzige koschere Hotel für jüdische Kurgäste, das Zentralhotel. Das war schon wichtig für die Stadt. Außerdem hatten wir ein Textil- und Schuhgeschäft. Auch die Posthalterei war bei uns.

Julius Schuster saß in den 1920er Jahren sogar im Stadtrat. Wenige Jahre später war das jüdische Leben aus Bad Brückenau praktisch verschwunden. Wie ging es mit Ihrer Familie weiter?
1937 wurden mein Großvater und mein Vater ins Konzentrationslager nach Dachau gebracht. Später waren sie in Buchenwald. 'Schutzhaft' nannten die Nazis damals als Begründung.

Trotzdem konnte ihre Familie Deutschland noch verlassen.
Ja. 1938 zog Julius Schuster die Reißleine. Die Nazis hatten es auf sein Hotel abgesehen. Also tauschte mein Großvater das Haus gegen die Erlaubnis, auswandern zu dürfen. Die Nazis hatten ihr Ziel erreicht und das Zentralhotel sozusagen pseudo-legal erworben. Unsere Familie reiste noch im Dezember 1938 nach Palästina.

Wie ging es weiter?
Nach dem Krieg versuchte mein Großvater, seinen Grundbesitz von Israel aus zu verwalten. Mit den damaligen Kommunikationsmitteln war das aber schwer möglich. Also kehrten meine Großeltern 1956 nach Deutschland zurück. Die beiden waren schon über 80 Jahre alt. Mein Vater, David Schuster, hatte in Israel meine Mutter kennengelernt. Er entschied sich, seine Eltern nicht allein gehen zu lassen. So kam unsere Familie nach Würzburg. Ich war damals zwei Jahre alt.

Das war ja gerade einmal elf Jahre nach dem Ende des Krieges...
Trotzdem war es für meine Großeltern und ich denke auch für meinen Vater ja die Heimat.

Und für Sie?
Auch für mich ist Deutschland meine Heimat. Ich fühle mich als echter Franke.

Hegen Sie keinen Groll gegenüber der Vergangenheit?
Es gibt keine rationalen Gründe, die Generation heute und auch die davor für das verantwortlich zu machen, was in den 1930er und 1940er Jahren passiert ist. Trotzdem merke ich, dass ich auf manche Meldungen in den Nachrichten sensibler reagiere.

Zum Beispiel auf den NSU-Prozess in München?
Ja, genau. Das verfolge ich wahrscheinlich mit größerer Aufmerksamkeit als andere Leute.

Vor einigen Jahren diskutierte der Stadtrat darüber, ob Stolpersteine verlegt werden sollten oder nicht. Die Räte entschieden sich dagegen, brachten aber Gedenktafeln an jüdischen Orten an. Wie stehen Sie zu dieser Entscheidung?
Ich bedauere, dass der Stadtrat so entschieden hat. Die Erfahrungen, die wir in Würzburg gemacht haben, zeigen, dass Stolpersteine eine sehr gute Form der Erinnerung sind. Sie konfrontieren die Menschen mit der Geschichte, wenn sie nicht damit rechnen. Trotzdem sind Stolpersteine nicht die allein glückselig machende Form des Erinnerns. Dass Gedenktafeln an das jüdische Leben in Bad Brückenau erinnern, finde ich gut. Bei der Enthüllung am Alten Rathaus war ich selbst dabei. Und dann gibt es ja noch Tafeln an der Synagoge und auf dem Waldfriedhof.

Das Gespräch führte Redakteurin Ulrike Müller.