"Jetzt weiß ich, wie die Oma sich fühlt"
Autor: Thomas Ahnert
Bad Kissingen, Montag, 11. März 2013
Im Mehrgenerationenhaus konnten Schülerinnen und Schüler der Anton-Kliegl-Mittelschule am eigenen Leib erfahren, mit welchen körperlichen Einschränkungen alte Menschen zu kämpfen haben Gert, der schwergewichtige Anzug, half ihnen dabei.
"Jetzt weiß ich, wie die Oma sich fühlt!" Der Satz, der Selina einfach so rausrutschte, wäre auch ein gutes Schlusswort gewesen. Ein Schlusswort unter eine Veranstaltung im Mehrgenrationenhaus, die für die Schülerinnen und Schüler der Klasse 9b der Anton-Kliegl-Mittelschule völlig unerwartete Erfahrungen brachte. Denn sie waren konfrontiert mit der Frage: Wie fühlt sich ein Mensch im Alter? Welche Einschränkungen muss er hinnehmen? Die Antworten konnten sie am eigenen Leib erfahren.
Gert half ihnen dabei. Gert ist kein Mensch, sondern die Abkürzung für "Gerontologischer Trainingsanzug" - kein Anzug im eigentlichen Sinne, sondern eine Weste mit Gewichten, dazu Manschetten, die man um Hand- und Fußgelenke legt. Insgesamt so schwer wie ein Kasten Bier, nur so über den Körper verteilt, dass das Gewicht so richtig schön nach unten zieht. Dazu kommt eine Halskrause, die die Drehfähigkeit des Kopfes einschränkt, eine Brille, die das Blickfeld einschränkt und auch die Konturen verwischt. Und schließlich noch ein Kopfhörer, der zwar geräusche durchlässt, aber vor allem hohe Frequenzen ausfiltert. Fertig ist der alte Mensch!
Die Kräfte sind nicht unendlich
Alexander Pfannstill sieht das Ganze zunächst noch jugendlich - sportlich. Er vertraut auf seine Kraft, macht problemlos zehn Kniebeugen. Aber als es darum geht, die Treppe ins Erdgeschoss hinunter und wieder hinauf in den ersten Stock zu gehen, da zeigen sich erste Unsicherheiten. Da ist das Geländer ganz willkommen. Und dann stolpert er auch noch über einen Teppich, weil er nur noch schlurfend geht und ihn nicht gesehen hat.
Selina Hirschberger wird, als sie "Gert" angelegt hat, von ihren Mitschülern aufgefordert, doch einmal zu hüpfen. Sie schafft es nicht: "Das zieht alles unheimlich nach unten." Auch sie bewegt sich zunehmend unsicher, stolpert, hat Probleme mit der Treppe. Und plötzlich sagt sie den Satz: "Jetzt weiß ich, wie die Oma sich fühlt."
Die Bewegungsprobleme beschäftigen die beiden gar nicht so sehr, weil das Nachlassen der Kräfte bei älteren Menschen auch von außen sichtbar und für sie erfahrbar ist. Nur wissen sie jetzt, wie es sich anfühlt. Was sie mehr verblüfft - und alle anderen auch, die den Kopfhörer aufsetzen, ist die Beobachtung, wie sehr Schwerhörigkeit nicht nur isoliert, sondern auch verunsichert, wenn Geräuschquellen nicht mehr lokalisierbar sind.
Mit zitternden Händen
Ein anderes Experiment elektrisierte die jungen Leute im wahrsten Sinn des Wortes. Mit unter Strom gesetzten Handschuhen konnten sie spüren, wie sich das Zittern der Parkinsonerkrankung anfühlt, wie man es nicht mehr schafft, ein Wasserglas zu halten oder ein Zehncentstück aus einem Geldbeutel zu fischen. Oder seinen Namen zu schreiben: "Das sieht aus wie bei meinem Opa", meinte ein Schüler. "Ihr habt es leicht", meinte MGH-Chefin Iris Hönig, "ihr könnt sagen: Jetzt reicht's. Aber alte Menschen haben das immer."
Natürlich machten dieses Experiment und die anschließenden alterstypischen Spiele den jungen Leuten großen Spaß, weil sie dür sie eine Ausnahmesituation waren. Aber sie waren andererseits auch sehr nachdenklich geworden, sprachen von mehr Geduld und Rücksicht gegenüber alten Menschen. Und in einem waren sie sich einig: Alt werden wollen sie jetzt nicht mehr - aber natürlich trotzdem lange leben.