Jedes Teil birgt eine Geschichte
Autor: Rolf Pralle
Bad Brückenau, Sonntag, 11. Oktober 2015
"Zwischen Sex und 60" heißt das aktuelle Solo-Programm von Angelika Beier. Darin zieht die bayerische Künstlerin alle Register aus rund 30 Jahren Bühnenerfahrung. Auch in Römershag erntete sie jetzt Lacher und jede Menge verschämte Blicke.
           
Nahtlos eingereiht in die Serie erfolgreicher Kabarettveranstaltungen im Gasthaus Breitenbach hat sich der Auftritt von Angelika Beier. Erneut war der Saal im Stadtteil Römershag bis auf den letzten Platz besetzt. Zum Auftakt ein paar lockere Sprüche mit Lokalkolorit, unter anderem über "die angesagtesten Clubs in Bad Brückenau", im Nu hat die gebürtige Rosenheimerin das Publikum auf ihrer Seite. 
"Zum besseren Verständnis für die Männer" macht sie deutlich, dass ihr Auftritt ungefähr solange dauern wird wie ein Fußballspiel mit Verlängerung.
  
  Belustigt, aber auch resigniert
 
Angelika Beier spielt Fanny, eine Frau, die teils belustigt, aber auch mit einem Anflug von Resignation auf die vergangenen Jahrzehnte ihres Lebens zurückblickt. 
Sie fühlt sich manchmal schon "fehl am Platz wie Kaffeesatz", wie sie in einem nachdenklichen Chanson intoniert.Längst hat sie festgestellt, dass "Optimismus nur die Folge unzureichender Information" ist. Nicht ohne Grund hat "die alte Schachtel Fanny" ihren Second-Hand-Laden dabei. Das eine oder andere Teil weckt in ihr Erinnerungen an vermeintlich bessere Zeiten. Mit einem gezielten Griff zum gebrauchten Kleidungsstück jeglicher Couleur schlüpft die Kabarettistin in verschiedene Rollen. Sei es als Alt-Hippie, Gisa aus Giesing oder als Else. Anschaulich werden Personen aus Fannys Verwandten- und Bekanntenkreis seziert und persifliert. Aber auch Fanny selbst muss feststellen, dass das zunehmende Alter bei ihr nicht nur im Gesicht durchaus seine Spuren hinterlassen hat.
Das merkt sie unter anderem an Geschenken, die ihr zu verschiedenen Anlässen gemacht werden. War es früher der knappe rote Slip, so ist es heute der mit Draht verstärkte Hüfthalter. Bekam sie in der Vergangenheit eine Wellnessreise als Geburtstagspräsent, soll sie sich heute über einen "Wochenendgymnastikkurs fürs reife Becken" freuen.
  
  Jeder wird angesprochen
 
Die Solokünstlerin findet bei allem 
Spektakel immer das richtige Maß der Darstellung, da gleitet nie etwas ins Seichte ab. Die Reaktionen der Zuschauer sind entsprechend. Nach zwei, drei krachenden Lachern macht sich schon in der nächsten Szene beim Publikum Nachdenklichkeit breit. Auf jeden Fall gelingt Beier dank ihrer hervorragenden Beobachtungsgabe des alltäglichen menschlichen Verhaltens eines: Fast jeder Gast erkennt sich an diesem Abend in irgendeiner Sequenz der Kabarettdarbietung wieder, mag er sich nun 
darüber amüsieren oder einfach verschämt wegschauen.  
  Misslungene Fesselspiele
 
Natürlich kommt, wie der plakative Programmtitel ja schon ankündigt, auch der Sex an sich zur Sprache. So fehlen weder die drastischen Schilderungen misslungener Fesselspiele à la "Shades of Grey" mit Rettung durch die Feuerwehr noch die Bezugnahme auf die Auswüchse des Internets, wo man jetzt schon den "Callboy mit 
TÜV-Plakette" buchen kann. Ein Highlight des Abends sind zweifellos die Eindrücke vom Yoga-Tantra-Workshop, wo Beier neben den lingualen Gags mit körperlicher Akrobatik glänzt, um in den vielbeschworenen Lotussitz zu kommen. Als Krönung solch einer Sitzung, so erinnert sie sich genau, sollte es Lichtsex geben. "Da habe ich den Schalter aber nicht gefunden", bedauert sie noch heute.
Und auch über das Lebensende hat sich die Kunstfigur Fanny schon ihre Gedanken gemacht. Die "Bestattung im Zeitalter der Globalisierung" werde dann so aussehen, dass beim Seniorennachmittag ab sofort "an der eigenen Kiste gezimmert wird". Und eine Urne könnte man beim abendlichen Töpferkurs herstellen. Aber bis es soweit ist, kann man sich ja den Wahlspruch zu Herzen nehmen, der auf ein Bühnenrequisit gepinselt war: "Lieber 10 x Sex als 1 x sechzig".