Jeden Morgen eine Weltreise
Autor: Thomas Ahnert
Wermerichshausen, Mittwoch, 19. Sept. 2012
Marcel (15) steigt um 6.30 Uhr in Wermerichshausen in den Schulbus, um nach eineinhalb Stunden Fahrt trotzdem zu spät zur Schule zu kommen.
Um 6.25 Uhr ist auch die Welt in Wermerichshausen noch stockdunkel. Die Bushaltestelle ist die einzige Lichtinsel in der Dorfmitte. Um 6.30 Uhr soll hier der Schulbus halten, aber weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Exakt zwei Minuten vor der Zeit raschelt's leise, und er steht da: der Schüler. Keine Sekunde zu früh, keine Sekunde zu spät. Wer zu so nachtschlafender Zeit aufstehen muss, wird präzise.
Marcel (15), bis zum nächsten Halt in Weichtungen erster und einziger Fahrgast, will Zimmerer werden. Er muss in die Berufsschule nach Garitz. Er ist vermutlich der Schüler, der in diesem Jahr den weitesten Schulweg hat. Über eine Stunde fährt er durch den östlichen Landkreis, durch Dörfer, die mancher nur vom Hörensagen kennt. Und wenn er um 7.33 fahrplanmäßig aus dem Bus steigt, kommt er trotzdem zu spät zum Unterricht. Denn der passende Stadtbus ist bereits um 7.30 nach Garitz gestartet, und der nächste fährt um 7.45 Uhr, zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn. Das ist einfach nicht zu schaffen. Die Lehrer haben dafür Verständnis.
Dafür kommen die anderen Mitreisenden zu früh: Zur Realschule und zum Jack-Steinberger-Gymnasium sind sie schnell hochgelaufen. Aber der Unterricht beginnt erst um 7.55 Uhr. Da kann die Wartezeit vor allem im Winter lang werden.
Quer durch die Pampa
Im Bus ist es ziemlich ruhig, obwohl er mitunter stark besetzt ist. In Maßbach steigen die Ersten schon wieder aus. Poppenlauer zieht sich ewig hin. Am Münnerstädter Marktplatz verlassen die Schüler den Bus, die zur Wirtschaftsschule nach Bad Neustadt weiterfahren. Das Schönborn-Gymnasium wird offenbar von einer anderen Linie bedient, denn Marcels Bus fährt vorbei. Reichenbach, Windheim - allmählich bekommt die Landschaft erkennbare Konturen. In Haard macht die Baustelle einen Umweg nötig. In Nüdlingen wird der Bus dann doch so voll, dass einige stehen müssen. Obwohl offizieller Linienverkehr, fahren kaum Erwachsene mit.
Das Heimfahren kann auch schon mal zur Hetzjagd werden. "Aber das ist o.k.", sagt Marcel, der die ganze Sache sehr pragmatisch betrachtet. Er leidet nicht am frühen Aufstehen, weil es sich nicht vermeiden lässt, und ist auch nicht neidisch auf die, die eine halbe Stunde länger schlafen können: "Das ist halt so." Für ihn sind die Schulfahrten absehbar, denn seinen Ausbildungsbetrieb hat er vor Ort.
Kompliziertes System
Wer sieht, wie viele mit jungen Leuten besetzte Busse jeden Tag im Morgengrauen kreuz und quer durch den Landkreis eilen, der kann die Organisation der Schülertransporte für kompliziert halten. Michael Schäder, genau dafür beim Landratsamt dafür zuständig, widerspricht nicht, und macht die Sache noch komplizierter: "Man muss unterscheiden, wer der Sachaufwandsträger ist. Für die weiterführenden Schulen wie Realschule und Gymnasium sind wir zuständig. Den Schülerverkehr für die Grund- und Mittelschüler organisieren die Kommunen für ihren Bereich und auf eigene Rechnung. Und dann gibt es im Verbund mit den Grundschulen noch den "freigestellten Verkehr", den man am "S" hinter der Windschutzscheibe erkennt. "Aber 80 Prozent sind Linienverkehr." Der Vorteil: Die Busse fahren auch an Samstagen
Auf die Streckenlizenz kommt's an
Schäder hat die Bedienung seiner Linien dem Omnibus Verkehr Franken (OVF) mit Geschäftsstellen in Bad Neustadt (für den östlichen Landkreis) und Gemünden (für den westlichen Landkreis) sowie an den Kreisomnibusbetrieb übertragen. Und die beschäftigen wiederum die örtlichen Busunternehmer als Subunternehmer: "Wer welche Strecke fährt, hängt davon ab, wer die Lizenz dafür hat", meint Klaus Fries vom OVF Bad Neustadt. Seine Diensstelle stellt auch die Jahrenskarten für die Schüler aus, die die Schulen verteilen, und stellt dafür eine Rechnung an das Landratsamt aus.
Zuschlag für den Günstigsten
Bei den Grund- und Mittelschulen, die in der Trägerschaft der Gemeinden sind, läuft die Sache anders. "Wir haben den gesamten Schülerverkehr innerhalb des Schulsprengels inklusive Leistungskatalog ausgeschrieben, und die günstigste Firma hat den Zuschlag bekommen", sagt Kerstin Heinisch, die zuständige Referatsleiterin im Bad Kissigner Rathaus. Die Stadt hat für das Schuljahr 2012/13 einen Ansatz von 230 000 Euro im Haushalt bereit gestellt, von dem monatlich die durchgeführten Fahrten abgerechnet werden. Der Vorteil: Die Schüler brauchen keine Karten, weil sie an den Schulen abgesetzt und wieder abgeholt werden.
Von einem "insgesamt ruhigen Auftakt" sprechen die Fachleute der Polizei, wie Inspektionsleiter Stefan Haschke bestätigt. "Wir müssen abwarten, wie der Winter wird", betont Klaus Fries. Da könne es vielleicht zu Ausfällen kommen, auch wenn "der Winterdienst sehr zuverlässig arbeitet." Für die Schulleiter sei wesentlich, dass die Kinder zu allererst sicher zur Schule kommen, nicht pünktlich. Aber es sollen ja auch schon Mal Schulbusse gar nicht erst angesprungen sein.