Druckartikel: Jeden komponierten Ton zur Geltung bringen

Jeden komponierten Ton zur Geltung bringen


Autor: Thomas Ahnert

Bad Kissingen, Sonntag, 22. Juni 2014

Konstantin Shamray spielte im Kloster Maria Bildhausen.
Konstantin Shamray im Kloster Maria Bildhausen. Foto: Ahnert


Kloster Maria Bildhausen — Man erschrak ja schon ein bisschen , als Konstantin Shamray im Festsaal des Klosters Maria Bildhausen in die Tasten griff. Der KlavierOlymp-Gewinner von 2011 hatte sich für den Beginn seiner Matinee Beethovens B-dur-Sonate op. 22 ausgewählt. Und da er die Spielanweisung "con brio" ernst nahm, spielte er sehr zupackend. Und da lag das Problem: Der Steingraeber-Flügel klingt ohnehin schon etwas, als würde man mit Pedal spielen.

Wenn man dann Beethovens Pedalvorschriften einhält und das in der für Klavier solo problematischen Akustik des Festsaals tut, dann wird die Musik schnell krawallig. Aber Shamray bekam das Problem in den Griff, und er konnte zeigen, dass seine Kompromisslosigkeit in eine ganz andere Richtung geht: Er hat den gar nicht so häufigen Ehrgeiz, jede komponierte Note auch wirklich zu spielen.
Bei Beethoven war das noch nicht so spektakulär, weil nicht die Virtuosität im Vordergrund steht, sondern die affektive Gestaltung. Und da spielte Shamray, wenn auch noch auf relativ hohem dynamischem Niveau, außerordentlich differenziert, gestaltete die Verfinsterungen des ersten Satzes, hielt im zweiten die pulsierende Linke wunderbar in der Schwebe.
Robert Schumanns "Carnaval" kam die noch in Resten vorhandene Überschussenergie sehr zu Gute, weil sie einen Aspekt der Musik, Schumanns Abrechnung mit seinen Zeitgenossen und -genossinnen, sehr stark vom Abstrakten ins Persönliche rückte. Zudem gelang es Shamray, indem er auf Pausen zwischen den Sätzen gänzlich verzichtete, einen starken inneren Zusammenhang herzustellen und einen übergreifenden Spannungsbogen zu schaffen, der dem Werk den Eindruck der länge nahm.
Die Balladen g-moll und As-dur von Fréd€ric Chopin spielte Shamray mit einem dramatisch wunderbar ausbalancierten Erzählton. Aber Ravels "Noctuelles", "Une barque sur l'océan" und das aberwitzige Alborada del gracioso" hätte man sich in den Rossini-Saal gewünscht. Denn hier fand Konstantin Shamray eine wunderbare Mischung aus perlender, immer wieder zupackender Virtuosität und Emotionalität. Die wäre in der dortigen Akustik noch besser zur Geltung gekommen.