Intensiv und beklemmend
Autor: Gerhild Ahnert
Bad Kissingen, Dienstag, 18. März 2014
Wajdi Mouawads Drama "Verbrennungen" zog beim Theaterring im Bad Kissinger Kurtheater das Publikum in den Bann.
Bad Kissingen — Nur sehr zaghaft regte sich Beifall, als das Licht ausging an diesem Abend auf der Bühne des Kurtheaters. Dann klatschte ein überwältigtes Publikum aber immer intensiver, holte mit rhythmischem Applaus die Schauspieler ein ums andere Mal auf die Bühne und am Schluss mischte sich auch ein ‚Bravo‘ hinein.
Diese nachdenkliche, fast aus der Schockstarre sich entwickelnde Begeisterung galt einem Stück, das die Bühnen in aller Welt eroberte: Wajdi Mouawads "Verbrennungen". Mouawad lebt in Kanada, doch stammt seine Familie aus dem kriegsgebeutelten Libanon.
Tragödien der Gegenwart
Und in einem ebensolchen von Krieg und Bürgerkrieg zerfleischten Land ist seine Geschichte angesiedelt; "Den Haag und alle akuten Krisengebiete" nennt das Programmheft als Spielort und "Heute" als Zeit. Anhand einer Familiengeschichte vor dem Hintergrund eines anonymen Landes zeigt Mouawad, welche Tragödien sich abspielen in unserer Zeit und gar nicht so weit weg von unserer ruhigen, reichen, friedlichen, mitteleuropäischen Idylle.
In einer solchen Ruhezone der sogenannten westlichen Welt leben die Zwillingsgeschwister Jeanne und Simon und werden durch die Eröffnung des Testaments ihrer Mutter unsanft herausgerissen aus ihren beruflichen Ambitionen als Amateurboxer und akademische Mathematikerin. Sie haben von der Mutter nur erfahren, ihr Vater sei ein gut aussehender liebevoller Mann gewesen und sollen nun, nach dem Tod der Mutter, ihren älteren Bruder und Vater - beide glaubten sie tot - suchen, dort, in dem Bürgerkriegsland, aus dem ihre Mutter geflohen ist. Dies der Ausgangspunkt für die Handlung, in deren Mittelpunkt das Leben dieser Mutter steht, dessen einzelne Abschnitte der Autor in einer spannend verzahnten Geschichte erzählt, bis sie, wie das Dürrenmatt ausdrückte, die "schlimmstmögliche Wendung" nimmt.
Düsteres Bühnenbild
Bühnenbildner Zoltan Labas hat für dieses Puzzle-Spiel aus Dialogen, poetischen Beschreibungen, ausgespielten und erzählten Szenen von teils erschütternder Grausamkeit eine düstere, aber auch sehr neutrale Bühne aus einzelnen Blockelementen geschaffen, unrealistisch, funktional. Auch Gizella Kopanys Kostüme verweigern Bunt-Folkloristisches; Musikeinspielungen und Rolf Spahns Lichtkonzeption dienten allesamt der Aufrechterhaltung einer unablässigen, bedrohlichen Spannung.
In diese illusionslose Welt platzierte die Regisseurin Lydia Bunk die vielen einzelnen Szenen, von der ungestümen Kinderliebe zwischen der 14-jährigen Nawal und dem kaum älteren Wahab, aus der ein Kind hervorgeht, das Nawal sofort nach der Geburt entrissen wird, bis hin zu der Suche der Erben Nawals in dem ihnen fremden Heimatland der Mutter und dem letztendlichen Trauma des Auffindens von Vater und Bruder.
Intensives Spiel
Kompliziert ist das, bruchstückhaft, komplex ineinander verzahnt, und dennoch schafft es der Autor, sein Publikum zu fesseln. Funktionieren kann das alles natürlich nur, wenn man eine Truppe hat, die in der Lage ist, diese kurzen Bruchstücke so intensiv auszuspielen, dass das Publikum sich mit den Personen des Dramas identifizieren kann, obwohl deren Geschichte nicht wirklich erzählt wird.
Lydia Bunk hatte eine solche Truppe beisammen. Iris Boss und Ulf Schmitt gaben das ungleiche Zwillingspaar, das zur Zeitreise in die Vergangenheit der Mutter und in eine vom Krieg gebeutelte Weltgegend gezwungen wird mit all der scheinbaren Unverletzlichkeit eines freundlichen Kolonialherren, dann dem Entsetzen angesichts dessen, was sie da erwartet. Ulrich Westermann spielte außer dem unschuldig-freundlichen Wahab all jene harten, zynischen Männer, wie sie ein Leben im ständigen brutalen Nahkampf hervorbringt, sehr überzeugend. Carsten Klemms Notar Hermile Lebel wirkte etwas klischeehaft schrullig, in seinen weiteren Rollen, die meist auf Typen abzielten, glaubhafter. Sehr eindrucksvoll gab Cornelia Dörr Nawals Gefährtin Sawda; das erste Treffen beider wurde zu einer menschlich anrührenden Insel im Chaos der Umgebung. Nawals Großmutter Nazira wurde von Astrid Gorvin trotz der Kürze auch dieser entscheidenden Episode, in der sie der verzweifelten Nawal aufträgt, Lesen und Schreiben zu lernen und so dem Leid der Frauen des Dorfes zu entfliehen, sehr intensiv gegeben. Kristine Walther spielte menschlich packend die Entwicklung von der Kindmutter bis zur von Angst, Entsetzen, Vergewaltigung und der tragödienhaften Wucht ihres Schicksalsschlages gezeichneten Frau.
Keine leichte Kost, aber trotz anfänglicher Schockstarre ob des Ausgangs der Geschichte: Das Publikum feierte die Truppe ausgiebig. kag