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Autor: Gerd Schaar
Hammelburg, Freitag, 03. Mai 2013
Geschichte zum Anfassen gab es in der Aula des Hammelburger Frobenius- Gymnasiums. Die 89- und 90-jährigen Zeitzeugen Arnold Samuels und Alfred Stühler berichteten von ihrer Vertreibung aus Hammelburg in ihrer Jugend und beantworteten Fragen der Schüler.
"Als Hitler 1933 an die Macht kam, war ich zehn Jahre alt", erzählt Samuels. Damals habe er nicht begriffen, was da vor sich gehe. Als gebürtiger Hammelburger habe er seinen Freundeskreis gehabt und sei auch mit den Lehrern bestens ausgekommen. Die Frage der Religionszugehörigkeit sei bis 1933 Nebensache gewesen.
"Nur weil ich jüdischen Glaubens war, hatte ich plötzlich keine Freunde mehr", berichtet er.
Drei Jahre später habe seine Familie ihr Getreidegeschäft in der Kissinger Straße aufgeben müssen und sei nach Hamburg gezogen. Von dort aus gelang ihnen 1937 die Auswanderung in die USA. Im zweiten Weltkrieg habe er als amerikanischer Soldat gegen Deutschland gekämpft, erzählt Samuels.
Ähnlich erging es Alfred Stühler, ebenfalls gebürtiger Hammelburger aus der Kissinger Straße. "Über Nacht wurde die Jugend von den Nazis aufgehetzt gegen uns Juden und gegen anders denkende Systemkritiker", berichtet er. Mit militärischem Drill sei es auf den Sportplatz gegangen. "Wenn das Judenblut vom Messer spritzt", habe man damals gesungen. "Doch einige meiner Mitschüler waren weiterhin gut zu mir", erinnert sich Stühler. In der Pogromnacht habe er einen Faustschlag aufs Auge bekommen.
"Eiligst haben meine Eltern 1938 das Haus verkauft und wir sind nach Palästine ausgewandert", so Stühler weiter. Nach 16 Jahren Landwirtschaft dort sei er nach dem Krieg mit seiner Ehefrau, einer Wienerin, in Österreich gelandet.
Rückkehr dauerte lange
Zwei Welten begegnen sich in der Aula: Die 30er Jahre des vorigen Jahrhundert treffen auf die Gegenwart. Mit ihren Fragen begeben sich die Schüler aus der 11. Jahrgangsstufe auf die Spuren des damaligen Zeitgeistes. Geschichtslehrerin Claudia Albrecht-Schübel betätigt sich dabei als Moderatorin und Diskussionsleiterin.
"Kann man heute stolz darauf sein, ein Deutscher zu sein?", fragt Rebecca. "Es ist mittlerweile ein anderes Volk geworden", antwortet Stühler. "Wann waren Sie innerlich bereit, Deutschland nach dem Krieg zu besuchen?", will Lorenz wissen. "Das dauerte bis 1960, viele der Betroffenen hatten es aber überhaupt nicht mehr geschafft", so Stühler. "Gab es Reue und Entschuldigung von alten Bekannten, als man sich wieder sah?", fragt Anna-Lisa. Stühler zuckt mit den Schultern. Eher nicht.
Elend aus nächster Nähe
Von einem herzlichen Wiedersehen mit seinem alten Jugendfreund Markus Hofstetter berichtet Samuels. Nach etlichen Jahrzehnten habe man sich in Sekundenbruchteilen bei seinem Besuch in Hammelburg wieder erkannt. Und dann interessieren sich die Gymnasiasten dafür, ob Samuels aus Hass gegen die Deutschen in amerikanischer Army-Uniform kämpfte. "Ich war 21 und amerikanischer Staatsbürger, ich kämpfte für mein Land USA., nachdem mich Hitler-Deutschland raus warf", erklärt Samuels. Und dann erzählt er noch vom Holocaust Auschwitz und Dachau, wo er nach Kriegsende als amerikanischer Soldat bei der Lagerauflösung tätig war und das Elend der Massenvernichtung aus nächster Nähe sah.
Die Schüler haben noch viele Fragen. So wollen sie zum Beispiel wissen, ob man als Jude in der NS-Zeit eine Chance hatte, seinen Glauben öffentlich zu leugnen und so mit heiler Haut davon zu kommen. "Nein, auf dem Lande kennt man sich", antwortet Stühler. "Wurde der Judenhass damals nicht hinterfragt?", wollen die Schüler wissen. Alle hätten es hingenommen, bestätigt Stühler. Und Samuels fügt noch an: "Wir waren damals noch so jung und hatten nicht ahnen können, welch schreckliche Kriegsverbrechen die Totenkopf-SS beging".
Den Anfängen solcher Gefahren mit demokratischer Wahl zu wehren und gerade jetzt in den Tagen des NSU-Prozesses gegenüber erneuten Auswüchsen hellwach zu sein, sei von großer Bedeutung. Da waren sich alle in der Aula einig.