Druckartikel: In Schönheit ersterben

In Schönheit ersterben


Autor: Thomas Ahnert

Bad Kissingen, Freitag, 17. Juli 2015

Das Modigliani-Quartett mit Sabine Meyer spielte Mozart, Ravel und Brahms.
Konzentration vor dem "Abflug": das Modigliani-Quartett mit Philippe Bernhard, Loïc Rio, Laurent Marfaing und François Kieffer sowie "special guest" Sabine Meyer. Foto: Ahnert


Als das damals noch junge Quatuor Modigliani - damals hieß es noch etwas umständlicher Quatuor Amédéo Modigliani - im Dezember 2008 das erste Mal beim Kissinger Winterzauber - und im folgenden Jahr gleich noch einmal - auftauchte, da löste es durch die Frische seines Musizierens erfreutes Erstaunen aus. Und der Run auf die Karten war ein deutliches Signal, dass dieses Erstaunen angehalten hat.

Aber die vier immer noch jungen Musiker haben eine Entwicklung genommen, die typisch ist, die man aber auch ein bisschen bedauern kann.

Ganz normale Entwicklung

Nein, Philippe Bernhard und Loïc Rio (Violine), Laurent Marfaing (Viola) und François Kieffer (Violoncello) sind nach wie vor ganz hervorragende Musiker, die sich wunderbar aufeinander eingespielt haben. Und es lohnt sich, sie nicht nur zu hören, sondern sich auch mit ihren Interpretationen ausein anderzusetzen, die sich verändert haben. Denn die Modiglianis haben es wie alle jungen Leute gemacht, die in den Musikbetrieb einsteigen: Sie haben einen relativ kräftigen Strich gepflegt, um zunächst überhaupt einmal auf sich aufmerksam zu machen und Gehör zu finden. Aber dann kommt der Punkt, bei dem einen eher, bei dem anderen später (bei manchem auch nie), wo man merkt, dass einem das selbst nicht mehr genügt, wo man beginnt, auch in die Tiefe zu gehen und auch leise, Aufmerksamkeit heischende Lösungen zu suchen. Aber es besteht immer die Gefahr, dass diese Suche zum Selbstzweck wird, dass der schöne Klang als Ziel in den Vordergrund rückt. Das nimmt der Musik wichtige Funktionen und schafft die Distanz der Bewunderung. Und an diesem Punkt sind die Modiglianis.

Demokratisch strukturiert

Bestes Beispiel ist ihr Streichquartett F-dur von Maurice Ravel, das sie bei ihrem ersten Gastspiel vor acht Jahren im Weißen Saal auch aufgeführt haben. Es macht schon Spaß zu beobachten, wie die vier Musiker diese Musik demokratisiert haben, wie alle Stimmen gleiche Rechte haben. Und sie ist großartig musiziert, mit wundervollen Farben. Vor allem der zweite Satz mit seinem grotesken Pizzicato macht starke Energien frei. Aber dann gibt es auch immer wieder Phasen - der langsame Satz verleitet dazu natürlich am meisten - in denen die Musik fast zum Stillstand kommt, weil die vier in eine Art Schönheitsstarre verfallen. Ravels Musik hält das aus. Sie stammt aus einer Zeit, in der in Frankreich, wenn man das so pauschal sagen darf, der Klang vor der Form stand. Vor acht Jahren war das noch zupackender, konkreter gespielt. Da ging sicher manche Nuance verloren, aber die Musik war auch noch ein bisschen spannender.

Konzeptioneller Konflikt

Weniger gut bekommt die Suche nach Schönheit dem d-moll-Streichquartett KV. Die starke Unruhe, die in der Komposition angelegt ist und sich durch alle vier Sätze zieht, ist agogisch sehr gut und schlüssig gestaltet, der drängende Vortrieb reißt nie ab, das Konzept trägt bis zum Schluss. Aber die vier Streicher geraten in einen Konflikt, weil sie vielleicht zu viel Respekt vor dem Komponisten haben, weil sie dieser Unruhe ein Konzept des schönen Klangs entgegensetzen, statt ihren Tönen auch mal auf die Zehen zu treten und sie so zu erden und welthaltig zu machen.

Gegen den Komponisten gespielt

Wo das Konzept des schönen, möglichst leisen Klang gar nicht aufgeht, ist bei dem Klarinettenquintett von Johannes Brahms, für das sich Sabine Meyer zu dem Quartett gesellt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie alles etwas konkreter, etwas deftiger hätte. Aber sie ist fair und geht nicht auf Konfrontationskurs. Sie kann halt auch extrem leise spielen, ohne dass ihre Töne zerbröckeln.
Aber eigentlich ist das Werk von seinen kompositorischen Strukturen her auf Konfrontation gebürstet. In dieser Musik werden durchaus Konflikte ausgetragen, die sich schon aus den thematischen Kontrasten ergeben. Da geht es nicht um das Herunterfahren der Töne bis an die Grenze der Hörbarkeit und bis zum Stillstand, da darf in dem Presto non assai, ma con sentimento das Gefühl nicht in die Innerlichkeit gezogen werden, sonst bräuchte es auch kein Presto. Da ist manches ganz einfach irritierend. Die Ergebnisse, die dabei herauskommen, sind ja nicht uninteressant und durchaus überraschend. Aber es fällt sehr schwer, dahinter die Handschrift von Johannes Brahms zu erkennen.

Keiner traut sich

Der Schlussakkord ist so entrückt, dass niemand im Publikum sich traut, mit dem Klatschen zu beginnen.