In einem Jahr kann sich viel ändern
Autor: Thomas Ahnert
Bad Kissingen, Montag, 23. Juni 2014
Das Luzerner Sinfonieorchester hat sich im letzten Jahr verändert. Aber mit dem Zeigen dieser positiven Überraschung musste es erst einmal warten.
Bad Kissingen — 2013 gab das Luzerner Sinfonieorchester mit seinem Chefdirigenten, dem Amerikaner James Gaffigan, sein Debüt beim Kissinger Sommer, und es hinterließ den Eindruck einer gewissen Betulichkeit. Seitdem ist ein Jahr ins Land gegangen. Nicht, dass die Luzerner nicht mehr wiederzuerkennen gewesen wären, aber es hat sich doch einiges verändert. James Gaffigans neuer Fünftagebart und seine Sturmgelfrisur sind sicher das Geringste, aber sie können ein Signal sein. Denn der Amerikaner ist vom Bremser zum Antreiber geworden. Und das Orchester lässt sich das gerne gefallen.
Aber diese Beobachtung konnte man nicht sofort machen, denn der Einstieg in das Konzert war problematisch. Der Tenor Karol Kozlowski, der mit zwei Arien von Friedrich von Flotow und Otto Nicolai für seinen Salzburger Stimmfachkollegen Peter Sonn eingesprungen war - und das gar nicht so kurzfristig - hatte im vergangenen Jahr erstmals bei der Kissinger LiederWerkstatt einen höchst bemerkenswerten Beitrag geleistet. Und das wird auch dieses Jahr so sein.
Stimmsitz dringend gesucht
Aber jetzt hatte er massive Probleme, seine Stimme zu finden und zu positionieren. Nicht, dass er unsauber gesungen hätte, aber musste jeden Ton in die richtige Höhe stemmen, und das machte die Sache mühsam. Zudem ließ seine eigentlich gute Artikulation nach kürzester Zeit nach. Schwer zu sagen, warum er so unter Druck stand, denn er beherrscht das leichte Fach.
Erkennbar ein Jugendwerk
Warten mit der neuen Erkenntnis musste man auch noch - auch da war das Orchester unschuldig - bei Felix Mendelssohn-Bartholdys Konzert d-moll für Violine, Klavier und Streichorchester. Das ist ein seltsames Konzert, das vor allem im zweiten Satz einige schöne, typisch mendelssohnsche Momente hat. Aber ansonsten wird deutlich, dass auch der damals 14-Jährige noch nicht perfekt war, dass er seine Probleme hatte. Formal wusste er durchaus, wie der Hase lief und was man tun konnte um Aufmerksamkeit zu wecken. Aber die beiden Ecksätze sind eine nicht enden wollende Hetzjagd der beiden Soloinstrumente. Der Pianist Nicholas Angelich und der Geiger Renaud Capuçon entledigten sich dieser Aufgabe mit Bravour, wobei der Brite mit seinen Pranken vielleicht ein bisschen grober, weniger differenziert zu Werke ging als sein Kollege. Aber mit dem Orchester - die Bläser sind völlig ausgeblendet - konnte Mendelssohn nicht allzu viel anfangen; die 2. Geigen sind über lange Strecken zur Untätigkeit verdammt. Sehr viel mehr als Stichwortgeber darf es nicht sein. Und wenn es einmal den Kopf länger herausstreckte, wurde es vom Klavier übertönt.
Aber mit Robert Schumann kam die Stunde des Orchesters, erst mit dessen Konzertstück op. 134. Wieder war Nicholas Angelich der Solist, der seinen Part mit viel Substanz und Gewicht spielte. Nur hatte er dieses Mal in dem Orchester einen echten Widersacher, der Paroli bot.
Und diese Haltung wirkte nahtlos hinüber die die 4. Sinfonie. Das erste, sangliche Thema war noch ein bisschen behäbig - das "Ziemlich langsam" hatte Gaffigan sehr wörtlich genommen. Aber schon das zweite Thema hatte Pfiff, einen kleinen Schuss Aggressivität und einen enormen Vortrieb, den auch die Romanze an zweiter Position nicht wirklich aufhalten konnte. Gaffigan trieb sein Orchester immer wieder an, geriet dadurch aber auch immer ieder in eine dynamische Schwarz-Weiß-Malerei, was allerdings der strukturellen Klarheit nicht schadete. Nach Yannick Nezet-Séguins "Rheinischen" mit dem BR-Sinfonieorchester nun also auch die Vierte, die mit Volldampf um die Ecke kam und für angenehme Überraschung sorgte. Als Zugaben spielten die Luzerner einen Satz aus der Dvorák-Serenade und den 5. Ungarischen Tanz von Brahms.