In den 1970ern entstand der Groß-Landkreis Bad Kissingen
Autor: Philipp Bauernschubert, Ralf Ruppert
Bad Kissingen, Sonntag, 29. April 2018
Stangenroth und Premich wehrten sich am längsten, einige Gemeinden wechselten sogar den Landkreis.
Für hart gesottene Lokal-Patrioten, die gerne ihre Feindschaften zum Nachbarort pflegten, waren die 1970er Jahre eine schmerzvolle Zeit: Von einer "Diktatur der Gebietsreform" war die Rede, als aus München die Order kam, größere Einheiten zu bilden: Landkreise sollten zusammengelegt und Großgemeinden gebildet werden. Bad Kissingen selbst war bis dahin kreisfreie Stadt, der alte Landkreis Bad Kissingen drumherum war in 56 Gemeinden zersplittert, weitere 35 Gemeinden hatten das Auto-Kennzeichen HAB, 25 Gemeinden waren im Landkreis Brückenau zusammen gefasst. Aus diesen 119 Gemeinden bildeten sich im Wesentlichen die heute 26 Kommunen im Groß-Landkreis - nach vielen Kämpfen.
"Gutes Zureden"
Die Gebietsreform hat bis heute kleinere und größere Narben hinterlassen. Darüber reden wollen aber wenige. Drohungen, Vorwürfe oder gar Sachbeschädigungen sitzen bis heute tief bei denen, die noch leben. Auch für Werner Eberth war es eine prägende Zeit: Der gebürtige Augsburger, der in Würzburg aufgewachsen war, kam 1970 als Jurist ans Bad Kissinger Landratsamt. "Wir haben durch gutes Zureden viel erreicht, aber einige haben sich auch mit Händen und Füßen gewehrt", erinnert er sich.Bedroht habe er sich nie gefühlt, aber es sei schon auch manchmal hitzig zugegangen auf den Bürgerversammlungen. Zum Beispiel in Ebenhausen, das im Mittelalter mit seinem Schloss eine große Bedeutung hatte: "Oerlenbach war früher ein kleines Kaff, eine Eingemeindung dorthin kam für viele Ebenhäuser nicht in Frage", erzählt Eberth. Am Ende habe es doch einen Kompromiss gegeben.
Winkels und Hausen hätten sich schnell für Bad Kissingen entschieden, dagegen wollten Albertshausen und Poppenroth nach Oberthulba. "Der Pfarrer hat gepredigt, dass sie nach Bad Kissingen sollen, am nächsten Tag hat der Gemeinderat seinen Beschluss aufgehoben", berichtet Eberth. Lange Kämpfe gab es dagegen in Arnshausen und Reiterswiesen. Eberth sei damals fast jeden Abend im Landkreis unterwegs gewesen, schließlich war er Staatsbeauftragter für die Gebietsreform. "Es ging hart zu, aber Prügel haben wir keine bekommen", kommentiert der 82-Jährige das heute.
Für Münnerstadt habe es eigentlich andere Pläne gegeben: Großwenkheim sollte eigenständig bleiben. "Aber die Kleinwenkheimer wollten gleich nach Münnerstadt." Nicht verhindern konnte Eberth, dass gleich mehrere Gemeinden die drei Landkreise verließen: Burglauer und Strahlungen in Richtung Bad Neustadt, Wasserlosen und Greßthal in Richtung Schweinfurt (siehe Grafik). Nur ein Ort kam dazu: Gauaschach wechselte aus dem Landkreis Karlstadt zur Stadt Hammelburg. "Das hat den Landrat in Karlstadt gar nicht interessiert", erinnert sich Eberth.
Bad Kissingen "kleineres Übel"
Allerdings habe es auch Überlegungen im Raum Hammelburg gegeben, zum Landkreis Main-Spessart zu gehen. "Gegenüber dem Groß-Landkreis dort war Bad Kissingen aber dann doch für alle das kleinere Übel." Im Norden blieb alles beim Alten. "Motten wollte unbedingt nach Fulda", sagt Eberth. Umgekehrt wäre Züntersbach gerne nach Bayern gewechselt. Aber: "Aus dem Innenministerium hieß es: Wenn wir Züntersbach fordern, dann wollen die Hessen Motten. Deshalb haben wir die Finger davon gelassen."
Die härteste Nuss war die Bildung des heutigen Marktes Burkardroth. In Premich lehnten 1971 bei einer Befragung 71,9 Prozent der Wähler den Gang nach Burkardroth ab, in Waldfenster gab es 65,0 Prozent Nein-Stimmen. In Stangenroth war zwar eine Mehrheit für die Großgemeinde, trotzdem stimmte der Gemeinderat für die Eigenständigkeit.
Premich strebte 1977 sogar eine Normenkontrollklage beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof an und überlegte lange, eine Gemeinde mit den Walddörfern Schmalwasser, Langenleiten, Sandberg und Waldberg zu bilden. Die Stangenröther riefen aus Protest im Frühjahr 1978 einen Boykott der Kommunalwahl aus. Mit Erfolg: "Am Ende gingen nur zwei zur Wahl", berichtet Ernst Dettmer. Der gebürtige Schalker zog 1973 nach Stangenroth. Der Lehrer berichtete als Mitarbeiter der Saale-Zeitung über den Ort. Erich Metz, Spitzname "Napoleon", sei damals der größte Verfechter der Eigenständigkeit gewesen. "1974 bis 1976 ging's heiß her", erinnert sich der heute 71-jährige Ernst Dettmer. Ihm selbst sei mit Zwangsversetzung gedroht worden. Beim Wahl-Boykott-Aufruf wurde der Ton sogar noch rauer: "Wer hier wählt, wird gehängt" habe auf einem Plakat gestanden. Daneben stand ein Galgen, der allerdings schnell entfernt wurde. Aller Widerstand brachte nichts: Am Ende musste Stangenroth zum 1. Mai 1978 die Zwangsehe mit Burkardroth, Frauenroth, Wollbach, Gefäll, Premich, Stralsbach, Katzenbach, Lauter, Waldfenster und Oehrberg eingehen.
Ein Hin und Her gab es auch im Osten des Landkreises: 1972 schloss sich zunächst Theinfeld der Einheitsgemeinde Maßbach an. Thundorf und Rothhausen wollten ihre Eigenständigkeit behalten. 1978 kam es dann zur Wiederausgliederung von Theinfeld aus dem Markt Maßbach. Die Emotionen schlugen hoch, wenngleich der damalige 2. Bürgermeister und Ortssprecher von Theinfeld, Emil Schmitt, sagte: "Ich glaube, in Theinfeld wissen die wenigsten, worum es eigentlich geht". Zuvor hatten rund 80 Prozent der Wähler bei einer Abstimmung für den Verbleib beim Markt Maßbach gestimmt.
Aus Sicht der Maßbacher hatten die Theinfelder enorm profitiert, weil über Sonder-schlüsselzuweisungen Geld floss. Kurios war, dass der kleine Gemeindeteil Theinfeld mit 110 Wahlberechtigten Emil Schmitt als 2. Bürgermeister stellte. Die Maßbacher sahen sich durch den Vorschlag der Regierung getäuscht und sprachen sogar von Betrug. Mit 10:4 Stimmen hatte der Marktgemeinderat Maßbach 1975 beschlossen, mit der Gemeinde Rannungen und der neu zu bildenden Gemeinde Thundorf mit Rothhausen eine Verwaltungsgemeinschaft zu bilden. Theinfeld aber sollte aber in der Gemeinde bleiben.
Das Problem war allerdings, dass es zwischen Theinfeld und Maßbach keine direkte Verbindung gab. Das sollte behoben werden, indem Maßbach und Münnerstadt Gebiete in Seubrigshausen und an der Ransbachsmühle bei Weichtungen tauschten. Nach einem Besuch des Petitionsausschusses entschied der Landtag trotzdem, dass Theinfeld zu Thundorf kommt.