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Impfpflicht im Thoraxzentrum Münnerstadt: Was passiert mit Schwester Kathrin?


Autor: Susanne Will

Münnerstadt, Dienstag, 21. Dezember 2021

Ungeimpftes Personal darf ab 15. März nicht mehr im Krankenhaus arbeiten. Das wird den Pflegenotstand noch verschärfen und kann im Einzelfall ein Drama für Betroffene wie Kathrin U. sein.
Kathrin U. kontrolliert ein Intensivbett, auf dem gleich eine neue Corona-Patientin liegen wird. Wenn sich nichts ändert, darf sie ab 15 März 2022 nicht mehr arbeiten.


Um halb fünf ist Kathrin U. aufgestanden. Duschen, ein schneller Schluck Kaffee, die Hühner versorgen und ab ins Auto. Die Schicht im Thoraxzentrum, der Lungenfachklinik in Münnerstadt, beginnt um 6 Uhr. Kranke Menschen pflegen, in einem tollen Team arbeiten, mit der wiedererlangten Gesundheit ihrer Patienten belohnt zu werden - das sind die Parameter, die sie sagen lassen: Ich habe einen traumhaften Beruf. Um kurz nach elf Uhr sitzt sie im Gemeinschaftsraum, Tränen tropfen auf ihren blauen Kittel. "Aber ich muss aufhören." Der Grund: Die 29-Jährige ist nicht gegen Covid geimpft. Und sie wird sich auch nicht impfen lassen.

Probleme nach einer Impfung

Ihre Gründe haben nichts mit Weltverschwörung, Bill Gates, Reptiloiden und anderen Märchen zu tun. "Ich hatte als Kind sehr schlimm Neurodermitis, ich musste Handschuhe tragen, damit ich mich nicht blutig gekratzt habe", erzählt die schmale, brünette Frau. In der Pubertät verlor es sich - und kam mit Wucht wieder. "Das war nach meiner Tetanus-Impfung", berichtet sie. Damals arbeitete sie in Werneck im Krankenhaus. Die rauen Stoffe der Arbeitskleidung scheuerten ihr schon wunde Haut noch mehr auf, sie schaffte es mit Geduld, die Neurodermitis in den Griff zu kriegen. Das Helmholtz-Zentrum München schreibt dazu in seinem Allergieinformationsdienst: "Neurodermitis ist keine Gegenanzeige für eine Impfung. Es ist unklar, ob die SARS-CoV-2-Impfung eine kurzzeitige Verschlechterung der Neurodermitis verursachen könnte. Vermutet wird dies derzeit nicht." Doch durch ihre Erfahrungen ist der Begriff Impfung seitdem negativ für sie besetzt, egal, welche Krankheit damit eingedämmt werden soll. Sie hat demnächst bei ihrem Hausarzt einen Termin, es geht um ein Attest, das sie von der Impfung entbinden könnte. "Ich möchte das Risiko, mir und meinem Körper noch einmal so einen Schub zuzumuten, nicht eingehen", sagt sie. Nun aber kommt für Menschen in Pflegeberufen eine Impfpflicht, das hat die Ampel-Regierung so festgelegt. Die kommt zumindest für Menschen wie Kathrin U. einem Berufsverbot gleich. "Ich denke, dass mich die Klinik freistellen muss", vermutet sie.

"Wir werden davon überrollt"

Martin Schleyer ist Betriebsleiter des Thoraxzentrums, der Träger der Klinik ist der Bezirk Unterfranken. Für ihn wie für alle Manager und Chefärzte in Kliniken in ganz Deutschland ist diese Situation keine gute. Martin Schleyer: "Wir werden davon momentan überrollt und wissen nicht genau, wie wir ab dem 15. März damit umgehen sollen. Natürlich haben wir ein Interesse daran, alle Mitarbeiter zu halten - angesichts des Pflegenotstands brauchen wir auch jeden."

Natürlich spricht er sich für eine möglichst hohe Impfquote in der Pflege aus. "Aber es sollte die persönliche Entscheidung eines jeden bleiben. Und wenn es gesundheitliche Gründe gegen eine Impfung gibt, dann steht das auch noch auf einem ganz anderen Blatt und das muss berücksichtigt werden. Wir brauchen jeden und es ist schlimm für uns und die Betroffenen, wenn sie nicht mehr arbeiten dürfen. Aber das liegt nicht in unserer Entscheidungsgewalt."

Entscheidung der Regierung

Damit kämpft Betriebsleiter Martin Schleyer am meisten: Dass in den Köpfen vieler hängenbleiben könnte, es sei eine Entscheidung der Klinik, sich von Ungeimpften zu trennen - und nicht ein Beschluss der neuen Ampelregierung, die die Kliniken nun bis 15. März umsetzen müssen.

Zurück auf die Intensivstation: Kolleginnen, die an diesem Tag in der Intensivstation zum ersten Mal von Kathrin U.s Entscheidung, sich trotz Pflicht nicht impfen zu lassen hören, sind bestürzt. Wie auch schon vorher, so sagt es das Team, fällt auch jetzt keiner über die junge Frau her. Sicherlich: Es wird auch hier wie in jedem Büro, in jeder Fertigungshalle Diskussionen zwischen Geimpften und Ungeimpften gegeben haben. Aber das Thoraxzentrum, in dem auch viele nicht mehr infektiöse Covid-Fälle gepflegt werden, zeigt zumindest aktuell, dass es geht - selbst auf der Intensivstation.

Täglich Schnelltest, wöchentlich PCR

Im Gegensatz zu geimpften Menschen macht sie jeden Tag einen Schnelltest, dazu kommt einmal wöchentlich ein PCR-Test. "Auf unsere Stationen kommt kein Positiver, und auch ich bringe das Virus nicht mit rein", sagt sie. Und wenn doch ein Patient noch positiv getestet ist, wie derzeit ein Mann auf der Intensivstation, dann schützt sie sich so wie ihre Kolleginnen und Kollegen: Schutzmantel, Schutzhaube, Schutzbrille, spezielle Maske, Handschuhe. Sie glaubt daran: "Mein Risiko, mir hier das Virus zu holen, ist nicht größer als das meiner geimpften Kollegen." Fakt ist: Sie hat sich bislang noch nicht infiziert.

Für Petra Will*, 51, Atmungstherapeutin im Thoraxzentrum, wäre die Freistellung dieser Kollegin "verheerend". "Wie die anderen Fachkräfte auch ist Kathrin U. eine Stütze der Station." Jeder ist dort Stütze, denn: Der Pflegeberuf ist für viele sehr unattraktiv geworden - Sonn- und Feiertagsdienste, dazu die Schicht und dann die Frage, ob das Gehalt für die Verantwortung angemessen ist. "Wir haben schon jetzt nicht genügend Personal, um all unsere Intensivbetten belegen zu können", sagt Petra Will. 24 Intensivbetten hat das Thoraxzentrum zur Verfügung, die rein technisch und apparativ zur Verfügung stünden. Doch aufgrund des Personalmangels können sie derzeit maximal zwölf von ihnen belegen. Eine Pflegefachkraft muss sich um drei Betten kümmert. Weniger Pfleger ist gleich weniger Betten und das in einer Situation, in der die Intensivstationen volllaufen und alle mit Bangen auf die Entwicklung der Corona-Variante Omikron schauen.

Neun Betten schafft die Schicht im Thoraxzentrum am Montag, 13. Dezember 2021. Ein zehntes wird hergerichtet, ein Patient aus Bad Kissingen soll auf den Michelsberg in Münnerstadt transportiert werden. Hier landen die Patienten, die das Schlimmste oft schon hinter sich haben und in der Spezialklinik von der Beatmungsmaschine entwöhnt werden sollen. Dass mit Herrn K. ein Mensch als einziger mit Akut-Covid, ansteckend und in schlechtem Zustand nun schon seine dritte Woche hier verbringt, ist eher die Ausnahme. Seit drei Wochen ringt er mit seinem Körper, und die Ärzte mit der Entscheidung, ob sie ihn an die künstliche Beatmung anschließen sollen. Letzte Woche waren seine Werte besser als am Montag, nun wird ihm ein Katheder in Herznähe gelegt, durch ihn sollen die Medikamente wie beispielsweise verschiedene Antibiotika oder Cortison schneller und besser wirken als durch die Armvene.

Überleben? Fifty-Fifty

Die Ärzte wissen: Wer an die künstliche Beatmung kommt, hat eine Fifty-fifty-Chance zu überleben. Ob Herr K. das auch weiß? Vielleicht will er sich gar nicht damit auseinandersetzen, Verdrängung ist manchmal eben auch eine gute Möglichkeit, seelisch die Wochen auf der Intensivstation zu packen. Umgeben von verhüllten Menschen, wechselnden Schichten, Schmerzen, Angst und Atemnot. In der vergangenen Woche erhielt er 100 Prozent Sauerstoff durch einen Schlauch in der Nase, heute sind es 85 Prozent. Die normale Umgebungsluft hat 21 Prozent Sauerstoff.

Im Zimmer nebenan liegt eine Frau, mittlerweile corona-negativ, die aufgrund einiger Vorerkrankungen noch sehr mit den Folgen des Virus zu kämpfen hat. Anders als die Frau im Nebenzimmer hat sie kein Tracheostoma im Hals, keinen Schlauch in der Lunge, der sie beatmet. Eine Weste rüttelt ihren Oberkörper durch, so soll sich der zähe Schleim in ihrer Lunge lösen. Doch als Petra Will die Maske auf ihren Mund setzt, um möglicherweise Schleim abzusaugen, zeigt sich, dass der Versuch vergeblich war. Zum Husten ist die Frau zu schwach. Und natürlich auch zu schwach für die schlimmste Nachricht, die ihr eröffnet werden wird, wenn sie sich erholt haben sollte. Dass ihr Mann gestorben ist. An Covid.

Verständnis für Ängste

Petra Przybilla ist Physiotherapeutin. Sie sorgt dafür, dass sich Sehnen und Muskeln während der Zeit der Bewusstlosigkeit nicht verkürzen, sie bleibt am Bett und bestärkt und unterstützt die Menschen, wenn für die nur das bloße Sitzen an der Bettkante zur Höchstleistung wird. "Ich bin überzeugt, dass wir uns alle impfen lassen sollten. Aber ich verstehe auch die Ängste, die manche haben." Wie die Ängste von Kathrin U..

Das ist es auch, was Kathrin U. so sehr an ihren Kollegen und Kolleginnen schätzt. "Hier muss ich mich nicht rechtfertigen." Auch nicht vor ihrem Chef, Oberarzt Dr. Jan Koch. Er steht gerade am Bett einer Patientin mit Tracheostoma, sie wurde nach der akuten Phase in einem Bad Kissinger Krankenhaus am Freitag ins Thoraxzentrum verlegt. Zusammen mit Petra Will blickt er nun bei einer Bronchoskopie in die Lunge der Frau. Trotz Beruhigungsmittel ist zu erkennen, dass es der Frau unangenehm ist. Gut: Das Beruhigungsmittel lässt sie die Erinnerung daran vergessen.

"Wir finden jetzt schon kein Personal"

Dr. Jan Koch desinfiziert sich vermutlich zum 312. Mal die Hände an diesem Tag. Eine Gruppe unter den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in seinem Team sind ungeimpft. "Wir finden jetzt schon kein Personal", sagt er. Petra Will ergänzt: "Wenn die alle weggehen, bricht ein System zusammen." Er widerspricht ihr nicht. Für Koch ist die Situation nicht einfach. "Ich sehe es problematisch. Pflegepersonal sollte geimpft sein. Es sollte das mindeste sein, dass vulnerable Gruppen sich nicht anstecken können. Aber es können eben auch Geimpfte das Virus übertragen." Es sei eine Abwägung, sagt er vorsichtig. Ob er persönlich es verstehe, dass es Menschen gibt, die die Impfung verweigern? "Die Gründe für diese Menschen sind vielfältig und individuell verschieden. Es obliegt mir nicht, darüber zu urteilen, ob dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Zudem habe ich noch nicht mit jedem einzelnen Mitarbeiter gesprochen und kenne deren Beweggründe nicht im Detail."

Kathrin U. sieht jetzt ihre einzige Chance, um weiter in einem Heilberuf sein zu können, in einer Ausbildung als Heilpraktikerin. Die nächste Prüfung ist im März. "Was mache ich, wenn bis dahin dort auch 2G gilt?" Dr. Koch fragt sich: "Sollten diese Menschen wirklich dauerhaft die Ausübung ihres Berufs einstellen müssen?"

Abschied auf Raten

Für Kathrin U. ist jetzt jeder Tag ein Abschied auf Raten. "Ich liebe das Team, die Arbeit, den Erfolg, wenn wir jemanden heilen konnte. Jetzt fühle ich mich völlig asozial, weil ich meine Kollegen und Kolleginnen im Stich lasse. Wir sind doch so aufeinander angewiesen, gerade weil wir so knappe personelle Ressourcen haben. Wir leben doch alle damit: Überstunden? Schicht? Ganz normal. Fällt ein Kollege am Sonntag aus - wir springen ein. Weihnachtsdienst ist noch nicht vergeben? Okay, mach ich. Ich bin für meinen Beruf schon über so viele Grenzen gegangen." Kathrin U. weint während des Gesprächs. "Und jetzt falle ich komplett weg. Und die, die den Job zu den Konditionen überhaupt noch machen wollen, die fehlen doch jetzt schon."

*mit der Autorin verwandt

Kommentar

Vorneweg: Ich bin fürs Impfen und selbst dreifach geimpft. Auch wenn die Impfung nicht das eingehalten hat, was uns die Politik zu Anfang versprochen hat, ist sie dennoch das wichtigste Instrument, um zumindest in den meisten Fällen die schweren Verläufe dieser weltumspannenden Pandemie zu verhindern.

Fragiles System

Als ich die Intensivstation des Thoraxzentrums besucht habe, war ich der felsenfesten Überzeugung, dass alle medizinischen Angestellten, alle Ärzte und Ärztinnen und Pflegekräfte geimpft werden müssten.

Dann lernte ich Kathrin U. kennen und mit ihr nicht nur den berühmten Einzelfall, sondern ich erfuhr die Bestätigung, dass das Gesundheitssystem in Deutschland in großen Teilen äußerst fragil aufgestellt ist.

Wenn auf den Krankenhausfluren und in den Pflegeeinrichtungen ein Querschnitt der Gesellschaft arbeitet, dann können wir davon ausgehen, dass knapp 30 Prozent der Menschen dort nicht geimpft sind. Und wenn im schlimmsten Fall diese 30 Prozent kündigen, weil sie aus mehr oderweniger guten Gründen gegen die Spritze sind, dann haben wir alle ein Problem.

Pflegekatastrophe droht

Und dieses Problem muss sofort angegangen werden. Omikron steht vor der Tür. Experten prognostizieren viele Erkrankte in sehr schneller Zeit. Und das, wo wir doch noch vor zwei Wochen Intensivpatienten durch Deutschland schicken mussten, um sie ausreichend versorgen zu können. Wenn die Experten Recht haben - daran ist nach den Alarmberichten aus England nicht zu zweifeln - dann steht uns eine Pflegekatastrophe bevor.

Was hören wir bislang dazu von der Politik? Nichts. Das ist das eigentlich Erschütternde. In einer Blitzentscheidung hat die Ampel als eine der ersten Maßnahmen verfügt, dass am 15. März für nichtgeimpfte Menschen im Medizinsektor Schluss ist. Nach Abzug von Überstunden und Urlauben früher. Die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen wurden davon überrollt. Es gibt von Seiten der Politik keine Handreichung, wie das umgesetzt werden soll.

Was passiert mit den Stellen?

Offen ist, was mit den Stellen passiert: Werden nicht geimpfte Pfleger:innen so lange freigestellt, wie die Pandemie dauert? Können sich dann Kliniken Vertretungen suchen, ähnlich wie bei Schwangerschaften? Und mit welchen Anreizen sollen Krankenhäuser jetzt für Ersatz sorgen - in einer Zeit, in der nahezu jedes Medium von der Überlastung der Menschen auf den Stationen berichten.

Der Gipfel der Heuchelei kommt in dem Zusammenhang von Ministerpräsident Markus Söder. Selbst 16 Jahre in der Regierungspartei fordert er jetzt, kurz nach der Bildung der Ampel, die Parteikonkurrenz auf, dass es für Menschen in Medizinberufen 2022 eine zeitweise Lohnsteuerbefreiung und eine erweiterte Pflegeprämie geben soll, dazu eine Gehaltsverdopplung für Intensivpflegekräfte. Tja, hätte er ja mal selbst machen können, damals, als die CDU/CSU regiert hat.

Die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen werden allein gelassen. Und es werden immer weniger, die sich das antun wollen. Für viele wird die gesonderte Impfpflicht, momentan nur für ihren Beruf, der Tropfen sein, der das Fass endgültig zum Überlaufen bringt. Sie werden sich andere Jobs suchen. Mit geregelter Arbeitszeit, ohne die dritte Nachtschicht für verhinderte Kollegen zu übernehmen, weil sonst niemand da ist, der sich um die Kranken und die Pflegebedürftigen kümmert.

Geimpfte übertragen auch

Kathrin U. lässt sich jeden Tag testen. Und macht jede Woche einen PCR-Test. Das in einer Zeit, in der die neue Regierung die Geboosterten aus der Testpflicht bei 2G-Plus entbinden will. Was vermutlich ein Impfanreiz sein soll, ist nichts anderes als ein ganz gefährliches Spiel - oder hat es sich noch nicht bis in den Bundestag herumgesprochen, dass Geimpfte das Virus ebenfalls übertragen, wenn auch nicht so leicht wie Nichtgeimpfte? Geht die gleiche Gefahr von Kathrin U. aus, die sich täglich testet, wie vom geimpften Chirurgen, der sich nicht täglich testet? Das müssen Mediziner beantworten.

Die Rechnung kommt jetzt

Es ist angesichts der Entwicklung über Jahrzehnte kein Wunder mehr, wenn Menschen in der Pflege einfach hinschmeißen. Und wenn sich jetzt weitere Lücken auftun, weil niemand mehr ungeimpft arbeiten darf, zeigt das nur, wie angespannt die Situation schon vorher war und wie sehr auf Kante genäht worden ist.

Die Rechnung kommt jetzt. Bezahlen werden sie die, die keinen Platz mehr auf der Intensivstation bekommen - weil zu wenig Menschen da sein werden, die die Technik beherrschen.