Homosexuell und Christ sein
Autor: Thomas Ahnert
Maßbach, Dienstag, 02. Mai 2017
Homosexualität und Christentum, wie passt das zusammen? Darüber diskutierten Carsten Stier und Björn Soldner im Kaminzimmer der Schlosses Maßbach.
Kann ein Homosexueller auch ein Christ sein? Natürlich, wird man sagen, eingedenk der Mitteilung im Alten Testament, dass Gott den Menschen nach seinem Bilde schuf. Das ist eine allgemeine Aussage, die keine Ausnahmen macht. Aber darf er auch ein Christ sein? Da ist die Antwort, wenn man sich die Positionen der christlichen Kirchen betrachtet, uneindeutig klar: Eigentlich nicht! Natürlich sind auch Homosexuelle Menschen, aber da muss dem Herrgott irgendetwas entgangen sein. Wenn man der Bibel glauben darf.
Carsten Stier ist studierter Theologe und Schauspieler - auch das Maßbacher Publikum kennt ihn von Produktionen wie "Dinner für Spinner", "Norway Today" oder "Clyde & Bonnie". Seit einem Jahr ist er hauptamtlicher Leiter der "blu:boks", einem Förderverein für benachteiligte Kinder im Berliner Problembezirk Lichtenberg. Er war an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt und hatte zu einer Diskussion über "Christentum und Homosexualität" in das Kaminzimmer des Theaters eingeladen. Als Moderator hatte er Björn Soldner gebeten. Der IT-Fachmann leitet ehrenamtlich das Schwulesbische Zentrum Würzburg WuF e. V.
Carsten Stier setzte zuerst die Eckpfeiler des Gesprächs. Er zitierte aus drei in völlig verschiedene Richtungen zielenden Texten: Aus Roberto Manteufels Kolumne "Seitenblick" in der Zeitschrift "Siegessäule", in der er schreibt, dass er als Atheist verstehen kann, warum Menschen glauben. Aber es sei doch erstaunlich, dass schwule und lesbische Menschen, der von der Kirche so viele Schwierigkeiten gemacht werden, immer wieder zu ihr zurückkehren. "Offenbar ist die Liebe Gottes stärker als das Dogma der Kirche." Er zitierte Roland Werner, einen CVJM-Funktionär, der sich noch 1996 auf den Amerikaner Joseph Nicolosi berief, der Homosexualität als eine Geduld fordernde, aber heilbare Krankheit hielt. Und er zitierte den Brief der 84-jährigen Oma Marie, weil sie zwei Enkel hat, die, beide schwul, in einer glücklichen Beziehung stehen, sich um ihre Umgebung kümmern, auch um sie, aber in der Kirche keinen Platz haben. Der wolle und könne sie nicht weiter angehören. Da gebe es erhebliche Kollisionen: "Schwule zu Sündern zu erklären und ihnen Heilung anzubieten ist unverantwortlich. Destabilisierung und Umerziehung - sind das christliche Werte?", fragte Carsten Stier.
Bei aller Vehemenz der Ablehnung tun sich die christlichen Kirchen schwer, ihre Haltung zu begründen. Aber die Bibel macht es den Begründern nicht leicht. Christus selbst hat sich nie zu diesem Thema geäußert. Und im Alten und Neuen Testament gibt es nur sechs Belegstellen, in denen das Thema anklingt. Das Problem: Man kann diese Stellen auch anders übersetzen: Ein Homosexueller ist nicht gleichbedeutend mit einem Kinderschänder. Da kann die Übertragung leicht ein Mittel zum Zweck werden.
Generelle Ablehnung
Die Praxis der Gegenwart in den christlichen Kirchen - das zeigte die Diskussion - ist auch heute noch geprägt von einer generellen Ablehnung der Homosexualität und des Zusammenlebens gleichgeschlechtlicher Partner, wenn auch mit graduellen Unterschieden. Der Staat hat den Paragraphen 175, den so genannten "Schwulenparagraphen" 1994 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Aber seitdem hinken die Kirchen hinterher. In der katholischen Kirche gilt Homosexualität nach wie vor als Sünde. Aber sie wird akzeptiert, wenn sie nicht ausgelebt wird. Eheschließungen sind grundsätzlich nicht möglich. Auch die protestantische Kirche kombiniert die Sünde mit dem Askesegebot, kennt aber mittlerweile, wenn auch nicht überall, die Segnung von Lebenspartnerschaften. Das steht im Ermessen der einzelnen Kirchenvorstände. In den Freikirchen gehen die Positionen auseinander: Die Liberalen akzeptieren Homosexualität als gottgegeben, die Konservativen sehen in ihr eine antrainierte Krankheit, für die Heilung möglich ist.
Frustration und Ungeduld
In der Diskussion war sehr viel Frustration und Ungeduld zu spüren. "Die Lehrmeinung vor allem der katholischen Kirche entspricht nicht den eigenen Lebensvorstellungen", meinte Björn Soldner lakonisch. Ein homosexueller Christ kann in seinem Glauben seine geistige Heimat finden, aber nicht in der Kirche. Die Konsequenz sind Verunsicherung, religiöse Entwurzelung, belastende Versteckspiele, aber auch steigende Zahlen bei den Kirchenaustritten. Das ist immerhin ein Hebel, kann auch ein wichtiger werden, der die Kirchen in Bewegung setzt. Erste rudimentäre Gespräche mit den katholischen Institutionen hat es bereits gegeben. Die EKD hat ein Memorandum herausgegeben, in dem sie fordert: "Spannungen aushalten!" Klar, wer sich da am ehesten angesprochen fühlt.Das Problem ist, dass der Staat das gesellschaftliche Zusammenleben regelt, die ethischen Grundlagen aber die Kirchen, die schwer in die Pflicht zu nehmen sind, an deren Unbeweglichkeit man auch zerbrechen kann, die als Institutionen aber auch nötig sind. "Ich habe keine Lust und keine Geduld mehr, mir mein eigenes Leben von 2000 Jahre alten Büchern kaputt machen zu lassen", gab sich Björn Soldner kämpferisch. Aber sein Optimismus klang doch ziemlich pessimistisch.