Herzerfrischend bis die Fetzen fliegen
Autor: Gerhild Ahnert
Bad Kissingen, Dienstag, 08. Februar 2022
Das Hamburger- Ernst-Deutsch-Theater war mit dem Stück "Dinge, die ich sicher weiß" zu Gast in Bad Kissingen. Darum gab es am Ende heftigen Beifall.
So ganz häufig schaffen es aktuelle, genau genommen auch ältere Theaterstücke aus "down under" ganz am anderen Ende der Welt nicht nach Europa. Wenn sich das renommierte Hamburger Ernst-Deutsch-Theater an eines wagt, muss da schon wirklich was dran sein.
Andrew Bovells Schauspiel "Dinge, die ich sicher weiß" zeigt die Welt von ihrem anderen Ende aus, von einem Vorort von Adelaide aus und beginnt mit der jüngsten Tochter, die auf ihrer Reise in den Rest der Welt in Paris strandet, wo der vermeintliche Traummann ihr das Herz bricht und ihr Globetrottergepäck ausraubt. Aus diesem Europa flieht sie zurück zu ihrer Familie in Australien und wird von den Eltern und ihren vier Geschwistern herzlich empfangen.
Geschickt stellt der Autor die Familienmitglieder vor, denn alle kommen auf die Nachricht von ihrer Rückkehr ins Familienwohnzimmer. Die Dialoge sind herzerfrischend realistisch, da fliegen nach kurzem Beschnuppern die Fetzen, und die Versuche der Eltern, Flüche und "schlimme Wörter" zu unterbinden scheitern zum Vergnügen des Publikums.
Pummeliger Gartenfreund
Mutter Fran, Oberschwester, ist gewöhnt daran, das Heft in die Hand zu nehmen, zu bestimmen, was zu tun ist. Vater Bob erscheint als der nette, pummelige Gartenfreund, der in der Autofabrik entlassen wurde. Er ist der Rücksichtsvolle, der jüngeren Kollegen Platz machte. Fran und er sind sehr stolz darauf, dass ihre Kinder es allesamt in gute Verwaltungsposten geschafft haben. Doch stellt sich im Laufe der Handlung heraus, dass auch sie nicht glücklich sind in ihren Positionen und Beziehungen.
Und während die Eltern doch so stolz auf sie waren, weil sie glaubten, dass alle in ihre Fußstapfen treten, Häuser bauen, eine Familie kriegen würden, erweist sich das als große Illusion. Die Welt von Fran und Bob zerfällt vor den Augen der Zuschauer, Rosies anfängliche Sehnsucht nach der Geborgenheit in ihrer Familie erweist sich als Trugbild.
Die große Schwester Pip hat ihre Familie verlassen, Bruder Mark war in seinem Männerkörper schon lange unglücklich und hat eine Hormonbehandlung begonnen, Bruder Ben konnte seinen ostentativen Wohlstand nur durch Betrug finanzieren. So sammelt sie am Schluss traurig die "Dinge, die sie sicher weiß" und übersieht wie alle anderen, dass die immer für selbstverständlich erachtete starke Mutter Fran ein Opfer ihrer Selbstüberforderung werden muss.
Ständige Transformation
Regisseurin Adelheid Müther hat im nüchternen Bühnenbild von Kathrin Kegler mit dem zentralen Tisch, an dem sich die Familie schon immer versammelt hat, ohne große Effekte oder übertriebene Emotionen, aber mit genauer Personenregie deren Schwächen und Ausweglosigkeiten gezeigt und es dadurch dem Publikum ermöglicht, diese dysfunktionale Familie dennoch ebenso zu mögen wie ihre Schwächen kritisch zu betrachten.