Druckartikel: "Wir sind zu wahrer Größe fähig"

"Wir sind zu wahrer Größe fähig"


Autor: Doris Bauer

Hammelburg, Montag, 01. Dezember 2014

Andreas Schwarzkopf tritt bei der Hammelburger Theater-Gruppe Spectaculum das Erbe von Werner Bergmann an.
Andreas Schwarzkopf bei den Proben zur 900-Jahr-Feier in Aura mit dem "Auraer Haufen". Foto: Doris Bauer


Hammelburg"Ich habe das 26 Jahre lang gemacht, und bin der Meinung, es reicht. Jetzt soll frischer Wind reinkommen." Sagt Werner Bergmann, der den Regie-Stab bei der Hammelburger Theatergruppe Spectaculum weitergegeben hat an Andreas Schwarzkopf. Der 66-jährige Studiendirektor im Ruhestand hat Maßstäbe gesetzt. Und hinterlässt seinem Nachfolger eine intakte Gruppe, die drei Generationen vereint. Im Interview erzählt Andreas Schwarzkopf von sich. Und von den Herausforderungen, vor denen Spectaculum steht.

Vom Mitwirkenden zum Regisseur. Wie schaut Ihre Rolle bei Spectaculum künftig aus?
Andreas Schwarzkopf: 1998 kam ich zu Spectaculum. Meine erste Rolle war ein reicher Kaufmann, der vom galanten Don Juan über den Tisch gezogen wird. Von da an war ich fast immer dabei, mit kleinen Rollen, da mein Beruf immer zeitraubender wurde. Dennoch gelang es mir, genug zu lernen, um in Aura anlässlich der 900-Jahr-Feier des Klosters den "Auraer Haufen" und zwei Jahre später den "Vogelbaron" auf die Bühne zu bringen - mit sehr starkem Rückhalt aus der Gemeinde und bis zu 40 engagierten Laienspielern. Hier habe ich nochmal viel gelernt. Auch, dass der Regisseur hinter die Bühne gehört. Aber ich überlege, ob ich, wie einst Alfred Hitchcock in seinen Filmen, einen kleinen Auftritt einbaue...

Ihr Vorgänger Werner Bergmann gehört zu den Protagonisten der ersten Stunde. Die Frage nach den Fußstapfen bleibt da nicht aus.
Und diese Frage ist sehr berechtigt. Von Werner Bergmann habe ich im Grunde ja alles gelernt, durch Beobachtung und Gespräche während der Proben. Auch jetzt würde er mich noch jederzeit unterstützen. Ich hätte mich nicht getraut, wenn es in Aura nicht so gut funktioniert hätte. Ich denke auch, es gehört etwas Talent dazu. Spectaculum ist aus Erfahrung mit Werner Bergmann sehr anspruchsvoll, jetzt wird sich zeigen, ob mein Selbstbewusstsein berechtigt war. Ich bin stolz, dass die Truppe mich als Regisseur akzeptiert hat.

Was soll bleiben? Wo werden Sie neue Akzente setzen?
Ich werde nicht versuchen, es genau wie Werner Bergmann zu machen, aber ich werde versuchen, ihm ein würdiger Nachfolger zu sein. Natürlich habe ich andere Dinge erlebt als er. Das wird sich in meiner Arbeit niederschlagen. Was ich aber auf jeden Fall beibehalte: Offenheit für Anregungen von den Spielern, Werner sagt immer: "Theater ist ein Gärprozess." Ohne Disziplin geht es nicht, hier will ich Vorbild sein.

Was für ein zeitlicher Aufwand kommt auf Sie zu?
Ich rechne mit 300 bis 400 Stunden bis zu den Vorstellungen, ein Teil ist schon abgearbeitet.

Werden Sie die Stücke künftig selber aussuchen, oder gibt es eine Entscheidungsfindungskommission?
Das ist klar geregelt. Als Regisseur schlage ich zwei Stücke vor, die Gruppe entscheidet dann gemeinsam. So soll es bleiben.

Welche Kriterien werden da angelegt?
Hier habe ich den Vorteil, dass ich die Gruppe und die technischen Möglichkeiten schon lange kenne. Zuerst wird abgefragt, wer mitspielen will und kann. Dadurch weiß ich, wie viele Schauspielerinnen und Schauspieler ich habe und suche nach einem Stück mit annähernd passender Rollenzahl. Ich achte auch darauf, dass das Stück auf der Schlossbühne mit unseren Mitteln umgesetzt werden kann, ohne an Effekt zu verlieren. Während ich die ausgewählten Stücke lese, merke ich schon, welche ich favorisiere. Zu denen fällt mir nämlich gleich am meisten zur Umsetzung ein. Es ist wie ein innerer Film, der mich die einzelnen Rollen und die Bühnenbilder schon sehen lässt.

Ihr nächstes Stück "Das Wirken der Schwarmintelligenz", basierend auf "Le rhinocéros" von Eugéne Ionesco, ist alles andere als leichte Kost.
Mit "Les Misérables" und dem "Gestiefelten Kater" hatte Spectaculum zuletzt zeitlose, aber auch in einem historischen Kontext inszenierte Themen auf die Bühne gebracht. Mein Einstand soll ein heute unmittelbar aktuelles Thema sein. Ich beobachte seit Jahren die Entwicklung im Internet und dies durchaus kritisch. Cybermobbing und der Tod der 16 Jahre alten Amanda Todd gaben mir - als Vater von drei Töchtern und mit einer Stieftochter - sehr zu denken. Mich interessierte aber auch von jeher, wie sich Gruppen bilden und wieder auflösen. Im Internet ist dieser Prozess stark beschleunigt. Ionesco wollte mit seinem Stück "Die Nashörner", das ist der deutsche Titel, den Untergang von Werten einzelner Menschen zeigen, die in einer zerstörerisch wirkenden Masse aufgehen. Dies hat fatale Ähnlichkeit mit gelegentlich auftretenden Vorgängen in sozialen Netzwerken, wo Menschen unter dem Schutz der Immunität allen Anstand abwerfen um in der Masse zerstörerisch zu agieren. Hier gibt es eine Palette von Motiven, die von verzehrender Existenzangst bis zum Dabeisein-Wollen reicht und die ich zeigen möchte. Natürlich kann ich es mir als denkender und der Biologie sehr zugetaner Mensch nicht verkneifen, gewisse Tendenzen in der Gesellschaft und den Massenmedien zu karikieren. Aber das Stück will auch unterhalten, es ist kein Lehrstück. Anders als das Original endet es auch nicht mit Verzweiflung, sondern Hoffnung.

Und wo liegt der Reiz, aber auch die Schwierigkeit, dieses Stück auf die Bühne zu bringen?
Das Stück muss sehr stark adaptiert werden, um die Situation aus den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in die heutige zu verwandeln. Das muss ohne platte Aneinanderreihung von Klischees geschehen, obwohl deren Zitate natürlich unvermeidlich sind. Es gilt, den Geist des Stückes von Ionesco zu erhalten, und es soll durchaus unterhaltsam und technisch sauber umsetzbar sein. Auch möchte ich zeigen, dass wir alle noch zu wahrer Größe fähig sind, egal, welche Irrungen unser Leben zu bestimmen scheinen. Eine unwiderstehliche Herausforderung für mich.

Gibt es ein Stück, das Sie unbedingt mal auf die Bühne bringen möchten?
Ja, ich würde gerne die "Schöne neue Welt" von Aldous Huxley für die Bühne adaptieren. Das Stück von Kroll ist ganz neu und wurde dieses Jahr erstmalig in Dresden aufgeführt, für die Schlossbühne bedarf es aber einer eigenen Version.

Apropos Bühne: Sie sind Mediziner. Wissenschaftler. Wie kam es zur Hinwendung zum Theater?
Meine Eltern lieben bzw. liebten zwar Theater, Oper und Operette, aber nur als Zuschauer. Mit dieser Rolle war ich bis 1998 auch zufrieden, wenn man von einer Rolle als "zweiter Polizist an der Tür" in der Grundschule absieht. Im Gymnasium gab es leider keine Theatergruppe, nur Musikbands, aber da reichte es bei mir vorn und hinten nicht. Allerdings konnte ich immer gut mit der deutschen Sprache umgehen, habe schon in frühester Jugend sehr viel gelesen und gelte als sehr fantasievoll. Da war die Entwicklung wohl nur konsequent. In andere Rollen zu schlüpfen und kurz darin zu leben ist schließlich ein Höhepunkt für jede Fantasie.

Als Wissenschaftler ist man eher der nüchterne, der analytische Mensch. Leben Sie beim Schauspielern eine andere Seite aus?
Wir alle haben viele Facetten. Und ich wollte immer schon in Parallelwelten tauchen, unlogische Emotionen nachspielen, um sie so vielleicht zu verstehen. Dies habe ich zuerst mit meiner Modellautosammlung und entsprechenden Figuren realisiert. Mit dem Theater boten sich viel intensivere Möglichkeiten, in eine Rolle zu schlüpfen und in einer anderen Zeit, wenn auch nur kurz, jemand anderes zu sein. Wegen meiner 2013 aufgetretenen dauerhaften Gehbehinderung kann ich keine einzelne Rolle mehr leben. Aber ich kann erleben, wie viele Rollen wachsen und zusammenwachsen und dies mitgestalten. Das ist mehr als eine Entschädigung.

Das Gespräch führte Doris Bauer.