Wanderung auf alter Autobahntrasse
Autor: Arkadius Guzy
Gräfendorf, Freitag, 06. Juni 2014
Gibt es etwas deutscheres als die Autobahn? Zwischen Bad Brückenau und Gemünden erzählen Reste der "Strecke 46" deren Bau- und Technikhistorie - und decken manchen Widerspruch zur Nazi-Propaganda auf.
Die Geschichte hat den Mitgliedern des Alpenvereins eine Kletterwand hinterlassen. Die fast 13 Meter hohe Mauer ragt wie ein Monolith aus einer Wiese zwischen Gräfendorf und Schonderfeld. "Wir haben schon mal an der Wand geübt", sagt ein junges Pärchen aus Aschaffenburg. Jetzt möchte es wissen, was es mit dem alten Brückenpfeiler auf sich hat. Also streifen die beiden jungen Leute mit rund 30 weiteren Wanderern zwischen Farnen hindurch und steigt über umgefallene Bäume. Sie alle folgen Dieter Stockmann durch den Wald bei Gräfendorf zu den Überbleibseln der "Strecke 46".
Als "Strecke 46" wurde vor dem Zweiten Weltkrieg die Trasse zwischen Bad Hersfeld, dem Kirchheimer Dreieck, Fulda und Würzburg-Kist bezeichnet, erklärt Stockmann.
Anders als die heutige Autobahn 7 sollte die "Strecke 46" zwischen Bad Brückenau und Gemünden verlaufen.
1937 begann der Bau an dem dortigen Teilstück - ohne offiziellen Spatenstich. "8 000 bis 9 000 Leute inklusive der Zulieferer arbeiteten an der Strecke. Weitere 16 000 fehlten, um sie fertigzustellen", erklärt Stockmann. Das war nicht das einzige Problem. "Die Logistik hat nicht funktioniert." Und auch das Wetter spielte nicht mit, wie Stockmann zu berichten weiß: "1938 sind die Baustellen abgesoffen. Ein Jahr lang konnte nicht gearbeitet werden."
Stockmann hat sich in den 90er Jahren durch die Archive gewühlt, in denen es "erstaunlich viel" Material gibt, und Wanderungen entlang der Trasse konzipiert. Er konnte außerdem noch mit etwa 50 Zeitzeugen sprechen, auch wenn diese schon im fortgeschrittenen Alter waren.
"Man hat immer gewusst, dass es da im Wald bei Gräfendorf irgendetwas gibt", sagt Stockmann.
Mit Kriegsbeginn wurden die Arbeiter Richtung Westwall abgezogen. Zurück blieben verschiedene Bauwerke, die Fahrbahn fehlte noch. Anfang 1960 wurde der Abschnitt zwischen Bad Brückenau und Gemünden vollends aufgegeben. Die A 7 wurde östlich von Hammelburg Richtung Schweinfurt verlegt. Der Grund erschließt sich den Wanderern am Hang über Gräfendorf: Der alte Trassenverlauf erfüllt nicht gerade moderne Ansprüche an eine effiziente und schnelle Verbindung.
Doch darum ging es in den 30er Jahren nicht. Die wenigen, reichen Autobesitzer sollten unterwegs in die Landschaft blicken und die Burgruine Homburg erspähen können.
Dafür nahmen die Planer - überwiegend Ingenieure aus dem Eisenbahnbau - 90-Grad-Kurven und Steigungen in Kauf, für die "die Autos damals überhaupt nicht ausgelegt waren".
Überhaupt, meint Stockmann, war der ganze Reichsautobahnbau ein Propagandacoup. Die Pläne privater Vereine und Gesellschaften lagen längst in den Schubladen, als Hitler an die Macht kam. Dann aber wurde in Deutschland überall gebaut. Wie bei der "Strecke 46" häufig in die Landschaft hinein, ohne Anschlussmöglichkeiten im Norden und Süden.
Heute erreichen Wanderer die mit Sandsteinen verblendeten Entwässerungsdurchlässe und Unterführungen häufig nur durch Dickicht. Stockmann kennt die Wege. Mit seinen Touren und dem Verein "Arbeitsgemeinschaft Autobahngeschichte" kämpft er gegen die Zeit. Denn irgendwann verleibt sich die Natur die Reste der "Strecke 46" ganz ein. Stockmann sagt: "Wenn es zu unwegsam und gefährlich wird, wird es irgendwann keine Wanderungen mehr geben." Nur der Brückenpfeiler kann sich nicht verstecken.