Druckartikel: Von Grenzstreit bis Zauberei

Von Grenzstreit bis Zauberei


Autor: Gerd Schaar

Völkersleier, Freitag, 07. April 2017

Ein Professor und vier Studenten erarbeiteten ein Stück Heimatgeschichte . Bei ihrem Besuch in Völkersleier erzählten sie von den spannenden Ergebnissen.
Die Studenten hatten sich unter anderem mit der Judenverfolgung beschäftigt. Die Juden waren aus den Städten aufs Land geflüchtet, machten etwa im 17. Jahrhundert 18 Prozent der Bewohner von Völkersleier aus. Anhand von Unterlagen aus dem Jahre 1762 konnte Kilian Zänglein eine jüdische Schule, eine Synagoge und eine Mique in Völkersleier nachweisen. Foto: Gerd Schaar


Von der Julians-Maximilians-Universität Würzburg kam Prof. Dr. Helmut Flachenecker, Inhaber des Lehrstuhles für fränkische Landesgeschichte, mit vier seiner Studenten nach Völkersleier, um verschiedene Einblicke in die Historie des Dorfes zu geben. Eingeladen hatten Bürgermeister Jürgen Karle und der ehemalige Völkersleierer und Heimatforscher Gerhard Karg. Das Schützenhaus war voll Interessierter, als die wissenschaftlichen Ergebnisse der Geschichts-Betrachtungen vorgetragen wurden.
Völkersleier war für die Studenten Jan-Luka Klindworth, Jens Detzer, Kilian Zänglein und Katharina Zima ein bislang unbekannter Ort. Aus rein wissenschaftlicher Sicht hatten sie sich mit den historischen Grenzen, mit der ehemaligen Bevölkerungsgröße, mit dem jüdischen Handelsleben und mit dem Aberglauben beschäftigt. Zahlreiche Recherchen in staatlichen und kirchlichen Archiven hatten die Studenten im Vorfeld auf Trab gehalten.
Am Mittwoch besuchten die Wissenschaftler dann zum ersten Mal Völkersleier und erlebten die Geschichte zum Anfassen. Sie besichtigten das Hofhaus von Bornkessel und das Hofgut von Kurt Henning. Auch eine Geschmacksprobe edler Brände samt Brotzeit bei Robert Koch war willkommen.
Mit "Wohnung des Volkes" könnte man den Ursprungsnamen von Völkersleier übersetzen, so Karg. Er erinnerte in seinem geschichtlichen Überblick an die wechselnden Zugehörigkeiten zum Kloster Thulba und zum Thüngischen Besitz. Karg berichtete auch, dass ein Drittel des Ortes an das Würzburger Juliusspital verkauft worden war.


Multikonfessionell

Grenzstreitigkeiten seien oft vorgekommen. Die nicht mehr existierende alte Kirche auf dem heutigen Grundstück von Willi Zeller sei vor etwa 100 Jahren durch zwei Kirchen beider Konfessionen ersetzt worden. Im 19. Jahrhundert habe es etwa 100 Juden in Völkersleier gegeben. Karg stellte fest: "Es ist ein multikonfessioneller Ort".
Den genauen Grenzverlauf im Jahre 1790 konnte Student Klindworth aufzeigen. "Für die Feldgeschworenen gab es viel zu tun", erinnerte Klindworth an viele Streitfälle und damalige Rechtsunsicherheiten. Grenzumgänge seien oftmals vonnöten gewesen. Mit umfangreichem Archivmaterial stützte er seine Ausführungen.
Mit Einwohnerlisten aus jener Zeit, als sich zu Anfang des 19. Jahrhunderts Bayern ganz Franken einverleibte, konnte Student Detzer aufwarten. Das Maximum für Völkersleier sei um 1840 mit 580 Einwohnern erreicht worden. Manche Namen von damals existieren heute noch in Völkersleier.
Über Glaube, Aberglaube und Rechtssprechung vor 250 Jahren hatte Studentin Zima geforscht. Anhand eines konkreten Falles aus dem Jahre 1768 rollte sie ein Gerichtsverfahren wegen Zauberei auf. Zumeist ging es bei solchen Anklagen um einen konkreten Schaden an Mensch, Vieh oder Gebäude.
Mit dem historischen Landjudentum hatte sich Student Zänglein beschäftigt. "Es gab immer mal Zeiten der Judenverfolgung", nannte Zänglein Beispiele aus dem 13. Jahrhundert und aus der Zeit von Julius Echter (1545 bis 1617). Auf ihrer Flucht aus den größeren Städten wie Würzburg und Schweinfurt seien die Juden auf das Land ausgewichen und dort unter anderem auch in Völkersleier gelandet.
Im 17. Jahrhundert habe der Judenanteil etwa 18 Prozent in Völkersleier ausgemacht. Es waren gebührenpflichtige Schutzjuden der Freiherren von Thüngen und des Juliusspitals. "Die Juden waren zumeist arm, sie übten damals hauptsächlich den Viehhandel aus", erzählte Zänglein. Anhand von Unterlagen aus dem Jahre 1762 konnte er eine jüdische Schule, eine Synagoge und eine Mique in Völkersleier nachweisen.
Es dürfte ein Novum sein, dass ein Professor und dessen Studenten sich in ihrer vorlesungsfreien Zeit persönlich vor Ort begeben, um von ihren Forschungen zu berichten, sagte Karg. Er bedankte sich für die wissenschaftliche Kooperation in Sachen Heimatgeschichte. Zustande gekommen war der Kontakt mit der Uni Würzburg durch Karg im Zuge der eigenen Heimatforschung. Zusammen mit Horst Kessler und der Gemeinde will Karg eine Chronik von Völkersleier erarbeiten.
Bürgermeister Karle begrüßte die Geschichtswissenschaftler jetzt. "Ich bedanke mich für die Gastfreundschaft", entgegnete Prof. Flachenecker. Weder er selbst noch seine angereisten Studenten hätten zuvor Völkersleier gekannt. Hinter der geleisteten Archivarbeit würden viele Arbeitsstunden stecken. Die Zuhörer dankten dies mit viel Applaus.