Druckartikel: Seinem Blick entgeht nichts

Seinem Blick entgeht nichts


Autor: Jacqueline Vera Mihm

Hammelburg, Donnerstag, 27. Sept. 2018

Thilo Seibel in Aktion: Der "kleine glatzköpfige Mann" räumt im Wasserhaus mit so mancher Illusion auf.
Thilo Seibel begeisterte das Publikum im Wasserhaus in Hammelburg.  Foto: Jacqueline Vera Mihm


"Kulturbunt" sorgte wieder einmal - dank einer gelungenen Künstlerwahl - für einen humorvollen und nachdenklich stimmenden Kabarettabend im Wasserhaus. Die gehaltvollen Abende haben sich zu einem etablierten Format gemausert. Diesmal präsentierte kulturbunt den Kabarettisten Thilo Seibel, der seit 1995 seiner Berufung als Künstler frönt. Mit seinem Programm "Wenn schon falsch, dann auch richtig!" begeisterte er das routinierte und kabarett-verwöhnte Kulturbunt-Publikum und sorgte für einen gelungenen Abend.

Irrungen udn Wirrungen

Kleine Kärtchen auf den Tischchen sind mit "Richtig? Oder Falsch?" beschriftet. Daneben liegen frische, knackige Äpfel. Ob diese Dekoration der herbstlichen Zeit geschuldet war oder gar symbolisch für die Frucht des Baums der Erkenntnis stand? Erkennen konnten die Zuschauer an diesem Abend so einiges: Irrungen und Wirrungen der aktuellen Politik, gesellschaftliche Missstände oder mental Fehlgeleitetes.

Thilo Seibel behielt gekonnt kein Blatt vor dem Mund und hatte glücklicherweise auch keine Bio-Blaubeer-Torte mit Vanille im Gepäck, ein Konditoreiprodukt mit erwiesen guten Flugeigenschaften gen Politiker, maximalen Schaden anrichtend. Diese Erkenntnis stammt aus einer Zeit, da Seibel sich selbst parteipolitisch engagierte. Bademantel, Hausschuhe und Irrenanstaltsflair: Seibel fragt gleich zu Beginn, ob man freiwillig da sei oder auch eingeliefert worden sei. Gleichzeitig betonte er, dass alle hier ganz sicher seien.

Wirklich? Während des Abends räumte der "kleine glatzköpfige Mann", so bezeichnete er sich selbst, der immer gehetzt auf Deutschlands Straßen unterwegs sei, mit so mancher Illusion auf. Rasant eilte er geistig von dem Fall Maaßen, dem man wohl seine Bezüge erhöhen wolle, sozusagen um ihn richtig zu bestrafen, bis hin zu Nahles. Nach weiteren sehr aktuellen politischen Exkursen stellte er seinen Mitpatienten Yegor vor. Yegor ist Mitarbeiter auf einer etablierten Stellung - auf Position 3, die gebolzten Kühe mit einer Motorsäge zerteilend ("Ordnung ist halbe Kuh") - in einem Schlachthaus mit stark hierarchisch strukturierten Arbeitsabläufen. Es ist ein Ort, an dem die Nationalität die Arbeitsposition ausmacht und über den Yegor treffend sagt: "Alles isst Fleisch, keiner geht Schlachthaus". Das ist wohl wahr - anders würde höchstwahrscheinlich der Fleischkonsum zurückgehen, dachte sich so mancher im Publikum. Um die Zuschauer dennoch aufzuklären, schilderte Yegor detailliert die genauen Abläufe des Schlachtprozesses inklusive der Arbeitsbedingungen und der sehr knapp bemessenen Freizeit. Na, dann guten Appetit.

Seibel gab Einblicke in eine Zeit seines eigenen parteipolitischen Engagements und der daraus resultierenden Frage, wie man mit der eigenen politischen Wut umgehen können - Bio-Blaubeer-Torten im Versuch.

Thilo Seibel schlüpft auch in die Rolle des Inspektors Columbo und schildert eine "konsumbedingte Straftat": die Herstellung eines T-Shirts, das von einer 16-jährigen Bangladesch-Textilsklavin gefertigt wird. "Auf diese T-Shirts gehören Schockbilder", schlägt er vor.

Tosender Applaus

Mag Thilo Seibel auch nicht die Statur eines Arnold Schwarzeneggers haben, so hat der Vollblut-Kabarettist doch eine geistige und verbale Schlagkraft, die ihresgleichen sucht.

Die klugen braunen Augen wie ein Vergrößerungsglas auf die Turbulenzen der aktuellen politischen Entwicklungen und gesellschaftlichen Missstände gerichtet, nimmt er diese gekonnt ins Visier. Es entgeht im scheinbar nichts. Das Publikum im Wasserhaus dankte Seibel mit tosendem Applaus und wurde mit einer Zugabe belohnt. Ein gelungener Kabarettabend, Seibel sei Dank.