Druckartikel: Offizieranwärter stellen sich der körperlichen Herausforderung

Offizieranwärter stellen sich der körperlichen Herausforderung


Autor: Arkadius Guzy

Hammelburg, Mittwoch, 04. November 2015

Seit Juli bereiten sich angehende Offiziere am Ausbildungszentrum Infanterie auf ihre Laufbahn vor. Wir begleiten sie dabei. Diesmal steht mit der großen Abschlussübung der Höhepunkt des Lehrgangs an.
Ein Offizieranwärter seilt sich von der Eisenbahnbrücke bei Neuendorf ab. Foto: Arkadius Guzy


Vielleicht 400 Meter vor dem Ziel droht der Verwundete noch von der Trage zu rutschen. Die Soldaten müssen den Kameraden absetzen und aus der Liegefläche heben, um das Konstrukt aus zwei Baumstämmen und zwei Zeltplanen neu zu wickeln. Das kostet Kraft. Dabei ist sie eine längst strapazierte Ressource. Die Soldaten haben den 100-Kilo-Mann nicht nur gerade mehr als zwei Kilometer durch den Wald getragen. Sie sind schon fast einen ganzen Tag unterwegs.

Die 24-Stunden-Übung ist für die Offizieranwärter der Höhepunkt ihres sechsmonatigen Vorbereitungslehrgangs im Hammelburger Ausbildungszentrum Infanterie. Die große Abschlussübung fasst alles zusammen, was sie bisher gelernt haben. Zugleich soll sie einen besonderen "Erlebnischarakter" haben, wie es im Ausbildungszentrum heißt.

Dafür haben Ausbilder im Maindreieck zwischen Lohr, Gemünden und Karlstadt - einem bewährten Übungsgebiet - mehrere Stationen angelegt, die die Offizieranwärter in Gruppen mit etwa zwölf Mann absolvieren müssen. Die Höhenzüge entlang des Tals, der Wasserlauf und die Maintal-Eisbahnbrücke Nantenbach bilden die Kulisse, die die Ausbilder einbeziehen.


Belastung für den Teamgeist

Die Sanitätsstation fordert viel von den Soldaten, wie Major und Kompaniechef Bernd Weissenberger erklärt. Das Szenario sieht die Explosion einer Sprengfalle vor. Das Bild ist erschreckend realistisch gestaltet: Abgetrennte Puppengliedmaße liegen zwischen kleinen Brandstellen im Gras verteilt. Um die Wirkung zu verstärken, hat einer der Ausbilder, ein Jagdscheinbesitzer, Eingeweide von zwei Wildschweinen und einem Reh dazu drapiert.

Ein Soldat hat die fiktive Explosion schwer verletzt überlebt. Nach der ersten Wundversorgung müssen die Übungsteilnehmer ihn zu den Koordinaten eines fiktiven Hubschrauberlandeplatzes drei Kilometer durch den Wald tragen. Das geht so an die Substanz, dass gelegentlich der Gruppenzusammenhalt darunter leidet. Murren, Unmutsäußerungen oder gar gegenseitiges Anschreien kommen dann vor, wie der Kompaniechef zu berichten weiß.

Doch diese Gruppe hält zusammen, auch wenn die Soldaten einfach nur stehen bleiben und Luft holen wollen. "Packt noch mal mit an", gibt der Gruppenführer klare Anweisung in ruhigem Ton. Nachdem die Trage wieder gerichtet ist, wuchten die Soldaten sie auf ihre Schultern und schleppen den Verwundeten zum Zielort. Der Kompaniechef ist zufrieden. In den vergangenen Wochen und Monaten haben die angehenden Offiziere Kondition und dadurch Selbstbewusstsein gewonnen, sagte er.

"Die Abschlussübung ist anstrengend, die Stationen machen in der Rückschau dennoch Spaß", meint Nick Becker, ein Teilnehmer in einer anderen Gruppe. Nach einer Nacht mit nur zweimal je 20 Minuten Pause, merke er die Müdigkeit. Der Offizieranwärter ergänzt jedoch: "Solange ich den eigenen Rucksack aber noch auf den Rücken hochkriege, geht es." Er kann sich schon denken, dass ihm noch ein Eilmarsch als nächste Station bevorsteht.

Die Gruppen nehmen an einer Station nur die Zielkoordinaten zum jeweils nächsten Übungsort in Empfang. Mit Hilfe von Karten müssen sie den Weg dorthin selbst finden. Erst, wenn sie sich im nahen Umkreis der Koordinate per Punk gemeldet haben, erfahren sie ihre Aufgabe.

Es ist nicht nur der Schlafmangel und die Anstrengung, womit die Soldaten während der Eintagesübung zurecht kommen müssen, sondern auch Temperaturen leicht unter Null Grad in der Nacht und den frühen Morgenstunden. "Während der Pausen hat es sich wie minus zehn Grad angefühlt - beim marschieren wie plus 20 Grad an", sagt Gruppenführer Sascha Nicolé.
Die Gruppen müssen auch einen Wassergraben unter der Bundesstraße durchwaten. "Das Wasser war wärmer als die Umgebungsluft", berichtet Nicolé. Mit klammen Füssen wieder ins Marschtempo einzusteigen, sei aber nicht so einfach.

Zwei Stationen warten noch auf Nicolé und seine Kameraden. Als Gruppenführer müsse er berücksichtigen, dass seine Männer und er mittlerweile einiges in den Knochen haben.

Ebenso tragen die Ausbilder eine große Verantwortung. Sie müssen auch nachts konzentriert sein, um den Ablauf an den einzelnen Stationen zu garantieren. Sie müssen außerdem für die Sicherung sorgen. Das betrifft vor allem Übungsaufgaben wie das Abseilen von der Bahnbrücke. Die Abseilstelle befindet sich unterhalb der Zugtrasse zwischen den Eisenstreben der Brücke. In der Dunkelheit markieren nur grüne und rote Knicklichter den Gang zwischen den beidseitigen Verstrebungen der Konstruktion.

Nur wenige speziell geschulte Ausbilder dürfen eine solche Abseilstelle einrichten und den Soldaten den Klettergurt anlegen. So ist Major Weissenberger auch stolz auf sein qualifiziertes Personal.