Hoffen auf Bad Kissinger Leerstandsbörse
Autor: Ralf Ruppert
Obereschenbach, Mittwoch, 12. Oktober 2016
Die Allianz Fränkisches Saaletal hat 129 Bauplätze oder verwaiste Gehöfte ins Internet gestellt. Die ersten Immobilien sind bereits verkauft. Mit Kommentar.
In der Hundsfelder Straße 20 in Obereschenbach scheint die Zeit still zu stehen: In einem Zimmer hängt noch ein Abreißkalender aus dem Jahr 1978 und weist den Todestag des letzten Bewohners aus. Der alte Küchenherd rostet vor sich hin, in den Zimmern fehlen nicht nur Heizkörper, sondern auch Steckdosen: Die einzige elektrische Leitung in den Stuben im Obergeschoss führt vom Schalter zu einem alten Lampenschirm aus Glas an der gekalkten Decke. Per Hand gerollte Muster an den Wänden, offene Lehmfelder, einfache Verglasung: "Hier ist halt seit Jahrzehnten nichts gemacht worden", fasst Mit-Eigentümerin Irene Wilhelm den Zustand zusammen. Seit Jahren sucht sie mit ihrer Schwester Hannelore Keupp nach einem Käufer.
Baujahr 1878 eingeschnitzt
Irene Wilhelm und ihr Mann Reinhold wohnen schon seit Jahrzehnten in der Obereschenbacher Siedlung.
Das Haus in der Hundsfelder Straße ist das Elternhaus ihrer Mutter. Gewohnt hat Irene Wilhelm dort nie: "Wir haben halt als Kinder die Oma besucht", erinnert sich die 69-Jährige. "Wenn ich nochmal jung wäre und bräuchte ein Haus, würde ich es herrichten", sagt ihr 74-jähriger Ehemann. Als gelernter Verputzer schätzt er, dass die Wandverkleidung älter ist als er selbst. Über dem Tor ist das Baujahr 1878 in den Balken geschnitzt. Das komplette Erdgeschoss, ein Bogen am Ende der Durchfahrt und ein Gewölbekeller sind aus Muschelkalk gemauert. Keine enge Stiege, sondern eine breite Treppe führt ins Obergeschoss, das nur zum Teil ausgebaut ist: Der Rest und der große Dachboden waren früher Lagerfläche. Wer vor 138 Jahren das 340 Quadratmeter große Grundstück bebaut hat, wäre heute vermutlich entsetzt, dass alles schon seit 38 Jahren leer steht. Im Zuge des Straßenbaus haben die Eigentümer zwar alle Versorgungsleitungen erneuert, aber sonst stand die Zeit still.
"Ganz wichtiges Thema"
"Der Leerstand ist ein ganz wichtiges Thema für alle Allianz-Gemeinden", sagt der Hammelburger Bürgermeister Armin Warmuth (CSU). In der Kernstadt würden immer mal wieder unbewohnte Häuser verkauft. "Es hängt einfach vom Objekt und den individuellen Interessen ab", weiß Warmuth noch aus seiner Zeit bei einer örtlichen Bank. Die Stadt selbst kaufe Immobilien nur, wenn es einen konkreten Verwendungszweck gebe, etwa um Stellplätze oder Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen. Grundstücke aufkaufen, Gebäude abreißen und Bauland daraus machen, könne die Stadt nicht: "Dazu haben wir nicht die finanziellen Mittel."Seit er im Amt ist, beschäftigt sich der Allianz-Manager der Allianz "Fränkisches Saaletal", Dr. Matthias Bickert, intensiv mit Leerständen: 999 Eigentümer leer stehender oder unbebauter Grundstücke hat die Allianz angeschrieben. Knapp die Hälfte füllte den Fragebogen aus, 129 Objekte hat Bickert bereits begutachtet. "Ich mache Fotos, spreche mit den Eigentümern, stelle es auf die Homepage der Kommune und in E-bay", berichtet er. Der Service sei kostenlos, soll aber Maklern keine Konkurrenz machen. "Die Objekte kosten zwischen zehntausend und siebzigtausend Euro, das ist für Makler uninteressant", betont Bickert. In Obereschenbach gab es bereits einen Erfolg: Ein Käufer aus Offenbach erwarb ein Gebäude, das im Exposé eigentlich als abbruchreif beschrieben war. Der neue Eigentümer will alles jedoch wieder herrichten.
Regionale Unterschiede
Beim Leerstand gibt es regionale Unterschiede: Während unter www.fraenkisches-saaletal.de/immobilien-und-grundstuecke keine Immobilie aus der Kernstadt Hammelburg oder aus Fuchsstadt zu finden ist, sind die Stadtteile oder die Gemeinde Wartmannsroth häufiger vertreten. Allerdings könne das auch an den Rückmeldungen und dem unterschiedlichen Engagement der Kommunen liegen.Die Allianz-Homepage sei aber nur ein Provisorium: "Ich hoffe, dass die landkreisweite Lösung jetzt hoffentlich bald kommt", sagt Bickert. Dann würden alle 129 Angebote überführt. "Die Aktion ist gut", freuen sich die Wilhelms auf die neue Plattform. Die sollte eigentlich bereits vor zwei Wochen online gehen. Für 24. Oktober hat das Landratsamt nun den offiziellen Start angekündigt.
Die Idee zu einem Innenentwicklungsportal ist schon vier Jahre alt (siehe Kommentar). Notwendig war laut Landratsamt eine große Menge an Daten, die eine externe Agentur zwei Jahre lang bei den Kommunen abgefragt habe. "Die Dauer ist vollkommen normal, da viele Kommunen mit unterschiedlichen Software-Systemen arbeiten", begründet das Landratsamt die lange Vorlaufzeit. Mitgearbeitet habe auch das Landesamt für Umwelt, das Personal speziell für die Datenerhebung von Leerständen schult.
Regelmäßige Eigentümerabfrage
"Danach war und ist eine Eigentümerabfrage erforderlich, die regelmäßig erfolgen muss", heißt es aus dem Landratsamt. Gerade bei Erbengemeinschaften nehme das viel Zeit in Anspruch.
Die Leerstandsbörse sei zudem mit der Neugestaltung der Landkreis-Homepage verknüpft worden, "damit am Ende alles aus einem Guss ist". Dazu ein Kommentar von Redakteur Ralf Ruppert:
Das Konzept trägt erste Früchte
Im Juni 2012 wurde mit viel Tamtam das Projekt "Innenentwicklungsmanagement Landkreis Bad Kissingen" vorgestellt: Über Leader-Mittel finanzierte der Kreis damals die Stelle der Landschafts- und Freiraumplanerin Verena Mörsner. Fest in der Stellenbeschreibung enthalten war bereits damals eine "Bauplatz- und Leerstandsbörse". Es gab sogar Pläne, eine deutschlandweite Plattform für Brachflächen, alte Hofstellen und leer stehende Wohnhäuser auf dem Land aufzubauen.
Die Innenentwicklung wurde seitdem personell immer wieder verstärkt, Mörsners Nachfolgerin Dorothee Schmitt ist vor genau zwei Jahren ebenfalls mit dem Ziel angetreten, die Leerstandsbörse nun endlich zu verwirklichen.
Vermutlich aus der Ahnung heraus, dass es noch einige Zeit dauern könnte, haben andere Gemeinden bereits gehandelt: Vor allem die Allianz Fränkisches Saaletal hat mit ihrer Seite auch bereits erste Erfolge: Hinter einigen Projekten prangt bereits in roten Lettern das Wort "Verkauft!". Das zeigt, dass die Idee funktioniert: Immobilien bebildern, die wesentlichen Daten zusammenfassen, zumindest einen ungefähren Kaufpreis nennen und kurze Wege zu den Eigentümern garantieren, das ist genau der richtige Ansatz. Und sei es, dass dadurch nur der Nachbar hochgeschreckt wird und schnell zugreift. Es ist höchste Zeit, dass der Landkreis jetzt endlich nachzieht.