Ein Fall für die Notfall-Mama
Autor: Carmen Schmitt
Hammelburg, Freitag, 27. November 2015
Sie greift ein, wenn der Familienalltag in Gefahr ist. Birgit Klein und ihre Kollegen der Familienpflege springen als Mama-Ersatz ein, wenn derjenige, der die Kinder betreut, genau das nicht mehr tun kann.
Es gibt nur eine, die das kann. Sie flechtet die schönsten Zöpfe. Sie sorgt dafür, dass der Lieblingspulli genau dann im Schrank bereitliegt, wenn wir ihn brauchen. Sie rechnet mit uns so lange an der Textaufgabe, bis wir die Lösung verstanden haben. Sie kocht die Spagetti mit der besten Soße und muntert uns mit einer Partie an unserem Lieblingsbrettspiel auf, wenn es Ärger mit der besten Freundin gab. Die Mama. Was aber, wenn sie mal krank wird? Ein Beinbruch, Probleme während der Schwangerschaft oder eine anstehende Operation, und die Strukturen im Familienalltag bröckeln. Birgit Klein weiß, was jetzt zu tun ist. Sie startet ihren Einsatz als "Notfall-Mama".
Birgit Klein ist 55 Jahre alt, hat einen frechen, blonden Kurzhaarschnitt und helle Augen hinter einem dunklen Brillengestell. Sie ist selbst Mutter von zwei erwachsenen Kindern, hat eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht und einen Kindergarten geleitet.
Seit zehn Jahren arbeitet sie als sogenannte Familienpflegerin beim Diakonischen Werk Lohr. Sie ist eine von 16 Fachkräften, die ihren Einsatz starten, wenn Familien in Schwierigkeiten geraten.
"Wir machen alles, was die Mama normalerweise macht", sagt Birgit Klein. "Notfalls hören wir uns auch die Nöte vom Papa an, wenn der von der Arbeit nach Hause kommt." Mittagessen, Hausaufgaben, zusammen spielen, Haushalt, "wir bemühen uns, alles so weiterzuführen, wie es die Mama gemacht hat." Wann kommt eine "Notfall-Mama", wer bezahlt sie, und wie findet man überhaupt eine?
Wenn sich die Leute bei Helga Wild-Krämer melden, hat die Krankenkasse den Antrag meist schon genehmigt. Der Arzt verpasst den Familien in der Regel das Attest, das sie ihrer Kasse vorlegen können. Die ist bei der Finanzierung der Familienpflege die erste Adresse.
Helga Wild-Krämer ist Pflegedienstleiterin beim Diakonischen Werk Lohr und koordiniert den Einsatz der Familienpfleger für sechs Landkreise. Der Pfleger kommt in eine Familie, wenn derjenige, der die Kinder betreut, genau das nicht mehr tun kann. Je nach Fall dauert das zwischen einigen Tagen und mehreren Monaten. Birgit Kleins längster war gleichzeitig ihr emotionalster Einsatz und in vielfacher Hinsicht ein Ausnahmefall.
Diagnose Krebs: Was jetzt?
Die alleinerziehende Mutter bekam die Diagnose Krebs. Ihr Sohn war damals zwei Jahre alt. "Es ging ihr mal besser, mal schlechter, wir sind oft ins Krankenhaus gefahren", erzählt Birgit Klein. Sie haben viel geredet. "Ich habe zusammen mit ihr ihre Beerdigung geplant." Die eineinhalb Jahre mit der Familie gingen ihr sehr nahe. Dass eine einzige "Notfall-Mama" so einen Fall stemmt, sei nicht üblich, meint Helga Wild-Krämer.
Damit die Bindung nicht zu intensiv wird, seien da zwei Pfleger im Einsatz. "Man muss sich abgrenzen", sagt Birgit Klein. Wenn die 55-Jährige morgens aufwacht und sie zuallererst an die Familie denkt, die sie betreut, oder wenn eines der Kinder "Mama" oder "Oma" sagt, wird es für sie Zeit, die Familie zu wechseln. 40 Jahre gibt es die Familienpflege. Seit den Anfangszeiten hat sich viel verändert. Birgit Klein und ihre Kollegen werden immer öfter gebraucht: Risikoschwangerschaften und Krebserkrankungen haben zugenommen, meint Helga Wild-Krämer. Die Betreuungszeiten im Kindergarten haben sich zwar verlängert, doch wo Oma und Opa früher mit der jüngeren Generation unter einem Dach lebten und bei der Betreuung eingespannt wurden, gibt es heute immer mehr Alleinerziehende, die auf sich gestellt sind. Dazu kommen mehr Schichteinsätze in der Arbeitswelt und die Forderung des Chefs, flexibel arbeiten zu können.
In der Summe schmälert all das die Chance, familiäre Krisen intern aufzufangen. Birgit Klein lebt mit ihrem Lebensgefährten in Euerdorf. Sie kümmert sich um Familien in einem Umkreis von 50 Kilometern.
Die Chemie muss stimmen
Sie springt nicht nur für die Arbeiten im Alltag ein, sondern leistet den Familien Beistand. Wenn sie spürt, dass bestimmte Dinge nicht funktionieren, gibt sie Anstöße, wie sie besser klappen könnten - vorsichtig und unterschwellig. Ob die Chemie stimmt, merkt die Familienpflegerin Birgit Klein schon beim ersten Telefonat. "Die Familie muss sich auf dich einlassen und umgekehrt." Kontakt Das Diakonische Werk Lohr ist für die Landkreise Bad Kissingen, Hammelburg, Schweinfurt, Mainspes sart, Aschaffenburg und Miltenberg zuständig. Sie sind auf der Suche nach einer Familienpflege, die Sie zeitweise unterstützt? Für eine Beratung und Vermittlung wenden Sie sich an die Diakonie Lohr unter der Nummer 09358/ 409. Weitere Informationen finden Sie auch im Internet auf der Website www.familienpflege-bayern.de. bcs