Druckartikel: Doktorwürde mit 81 Jahren

Doktorwürde mit 81 Jahren


Autor: Winfried Ehling

Hammelburg, Dienstag, 03. Mai 2016

Forschung trifft auf Familiengeschichte: Winfried Leipold hat über den deutsch-französischen Krieg von 1870/71 promoviert.
Der frischgebackene Doktor Winfried Leipold ruft sich seine Dissertation noch einmal am Schreibtisch ins Gedächtnis.  Foto: Winfried Ehling


Ziel vieler Studierenden ist es, nach Ende eines Studiums zu promovieren, ein eigentlich "normaler" Vorgang. Je nach Fachbereich fällt die Promotion in das Lebensalter zwischen Mitte und Ende der 20er Jahre. Doch wie kommt es dazu, dass ein Bewerber mit 81 Jahren die Doktorwürde anstrebt - und erhält?
Darüber weiß der frisch gebackene Dr. Winfried Leipold zu berichten, dem diese erstaunliche Leistung gelang. Er erhielt vor einigen Wochen den akademischen Grad Doktor der Philosophie (Dr. phil.) - magna cum laude (sehr gut) - für seine 200 Seiten umfassende Doktorarbeit mit dem Titel "Der deutsch-französische Krieg von 1870/71. Die Konfrontation zweier Kulturen im Spiegelbild von Zeitzeugen und Zeitzeugnissen".


Andere Perspektive

Aha, glaubt jetzt mancher, ein strategisch-taktisches Werk militärischer Prägung. Mitnichten. Denn Leipold sieht diese Auseinandersetzung zwischen Frankreich und dem damaligen von Preußen dominierten Deutschen Reich aus anderer Perspektive als der der Schlachtfelder. Äußerer Anlass für diesen Krieg war die berühmte "Emser Depesche", die - von Reichskanzler Otto von Bismarck manipuliert - Napoleon III. provozierte und zur Kriegserklärung gegen Rheinpreußen veranlasste. Frankreich verlor den Krieg innenhalb weniger Monate, Napoleon III. wurde gefangen genommen. Auch die französische "Dritte Republik", die sich direkt nach der Niederlage bildete und die Auseinandersetzung fortführte, musste nach dem Fall von Paris im Februar 1871 aufgeben. Der Frieden von Frankfurt setzte - bei hohen Reparationsleistungen - den Schlusspunkt.


Urgroßvater beteiligt

"Doch das war kein Krieg der Waffen, sondern der Kulturen", behauptet Leipold in seiner Dissertation. "Die preußisch-deutschen Streitkräfte wurden unterschätzt, während die Franzosen zur Überheblichkeit neigten, was ihnen die Niederlagen einbrachte", begründet er.
Eine solche Behauptung braucht ein Fundament, das sich der 1934 in Würzburg geborene Leipold autodidaktisch erarbeitete. "Mein Urgroßvater, Nikolaus Eglau, kämpfte in diesem Krieg gegen die Franzosen. Dies war für mich die Initialzündung für Nachforschungen, die mich zu meinen Erkenntnissen führten", informiert er.
Das Neumitglied der Philosophischen Fakultät der Julius-Maximilian-Universität Würzburg absolvierte nach Versetzung seines Vaters, der Schulleiter in Lager Hammelburg war, das so genannte Pro-Gymnasium in der Saalestadt - eine harte Zeit, wie er sagt - und legte das Abitur am Kissinger Gymnasium ab. Danach folgte das Studium der Romanistik, Anglistik, Amerikanistik und Journalistik an der Uni München.


Recherchen vor Ort

Zunächst Lektor und Übersetzer für namhafte Verlage wie Dröhmer-Knaur, Piper oder Hanser, schlug Leipold den pädagogischen Weg ein und lehrte an verschiedenen, unterfränkischen Gymnasien als Fachbereichsleiter in Französisch, bildet Referendare aus und leitete den internationalen Schüleraustausch.
Nach seiner Pensionierung begann er mit seinen Recherchen vor Ort, nämlich an den Kriegsschauplätzen in Frankreich und fand Gesprächspartner, deren Großeltern noch Zeitzeugen dieses Krieges waren. Schon als Student erkannte Leipold sein Interesse an diesem geschichtlichen Thema - das ihn offensichtlich auch persönlich berührte - stöberte in Archiven und tauschte sich mit französischen Freunden aus. Darüber hinaus nahm er an Veranstaltungen einer einschlägigen Universitäts- Studiengruppe in Frankreich teil.
"Ein Pfarrer, ein Landvermesser, ein Laienschauspieler gehörten zu meinen Informanten, durch die ich auch an Antiquariate gelangte. Das waren Aussagen aus erster Hand durch französische Freunde, mit denen ich sehr gute Beziehungen pflege. Und die Gesprächspartner bestätigten meine Theorie in großen Teilen", sagt der Wahl-Hammelburger.
"Beim Aufräumen fand ich eines Tages meine ganzen Uni-Scheine, was mich auf die Idee brachte, eine Dissertation zum Thema zu schreiben", lächelt er leicht amüsiert. "Vor fünf Jahren entschloss ich mich diese Aufgabe anzugehen", erinnert sich Leipold. Mit Unterstützung und unter Betreuung der Würzburger Universitätsprofessoren Brigitte Burrichter (Romanistik) und Wolfgang Altgeld (Geschichte) gelang Winfried Leipold dieser ungewöhnliche Erfolg, der seine Würdigung durch den akademischen Grad des Dr. phil erhält.
Das belegt - auch wenn es die Ausnahme sein mag - dass ein Mensch im fortgeschrittenen Alter durchaus zu geistigen Hochleistungen fähig ist. Erfolgsgaranten sind der Wille und das Interesse an einem Thema, eine gründliche Recherche und der Mut ein solches Projekt in Form einer Doktorarbeit zu realisieren.