Das Zuhören machte plötzlich Spaß
Autor: Thomas Ahnert
Hammelburg, Freitag, 21. Februar 2020
Trotz der nicht ganz unproblematischen Akustik in der Klosterkirche blieb beim Konzert mit dem sinfonischen Blasorchester Wibraphon der Gesamtklang klar. Das enorme Niveau des Orchesters zeigte sich gleich beim ersten Werk.
Man konnte ja ein bisschen skeptisch sein: ein Konzert mit den sinfonischen Blasorchester Wibraphon in der offenen, nicht ganz unproblematischen Akustik der Hammelburger Klosterkirche. Da sollte man sich besser auf einen unkonturierten, breiigen, meist zu lauten Klang einstellen und auf lange Nachhallzeiten. Aber erstaunlicherweise erwiesen sich diese Bedenken als gegenstandslos: Die Kirche erwies sich als geradezu ideal für diese Art von Besetzung und Musik: Der Gesamtklang blieb klar - auch dann, wenn alle 38 Musiker gleichzeitig loslegten - fügte sich zu einem homogenen, spannenden Ganzen mit ebenso erstaunlich kurzen Nachhallzeiten. Das Zuhören machte plötzlich Spaß.
Die größere Überraschung - obwohl man damit hatte rechnen können - war allerdings das Ensemble unter der Leitung von Johann Mösenbichler. 2010 entstand beim Nordbayerischen Musikbund die Idee, im folgenden Jahr eine Landkreis-CD aufzunehmen. Das einzige, was fehlte, war ein Orchester. So wandte sich der Verband in einer Ausschreibung an junge Profis, Musikstudenten und begabte Amateure, die sich kurz darauf zu ersten Proben trafen - und schließlich auch die projektierte CD- einspielten. Die Begeisterung bei allen Beteiligten war so groß, dass man beschloss, als Projektorchester zusammenzubleiben und einen Trägerverein zu gründen. Und sie erwies sich als tragfähig bis heute.
Es ist zum einen die technische Präzision der Musiker, die diese Begeisterung begründet und befördert. Es ist der engagierte Zugriff eines gesicherten Mitteilungsbedürfnisses, in dem sich jeder als Solist des Ganzen versteht. Und es ist die Freude an den Klangfarben, die in ihrer Gestaltung weit über das von Bläsern Erwartbare hinausgehen. Manchmal musste man schon zweimal hinschauen, um die Klangquellen zu identifizieren.
Das enorme Niveau des Orchesters zeigte sich gleich beim ersten Werk, als Komposition nicht unbedingt eines der stärksten: "Sheltering Sky" des Amerikaners John Mackey von 2012. Man konnte verstehen, dass die Musiker es gerne spielen, weil es weniger auf technische Brillanz, sondern auf die Intonation zielt, weil es ein sehr genaues Aufeinander-Hören und Abstimmen verlangt, damit harmonische Reibungen umso deutlicher als beabsichtigt erfahrbar werden. Für die Musiker eine echte, gerne angenommene Herausforderung an die Konzentration, von der der Zuhörer insofern nicht allzu viel hat, weil er normalerweise davon ausgeht, dass bei einem solchen Orchester ohnehin alles stimmt. Für ihn wird durch die fehlende Nachvollziehbarkeit des rhythmischen Elements die Musik relativ schnell zur Wiederholung - trotz einer differenzierten Dynamik.
Das galt in gewisser Weise auch für Steven Bryants "The Low Arc of the Sun" - ein Titel, bei dem man sich schon denken konnte, wie die Musik laufen und klingen würde und es dann auch tat. Die musikalische Vision eines grauen Wintertages, an dem auch mal die Sonne durchblitzt, hätten wir zurzeit wirklich nicht gebraucht. Aber man musste sich nicht deprimieren lassen. Man konnte es genießen, dass auch Konfektion absolut pfiffig gespielt sein kann.
Es waren zwei andere Werke, die einen bleibenden, tiefen Eindruck hinterließen: zum einen, verbunden mit dem Eindruck, dass man Musik von Max Bruch auch spannend machen kann, dessen "Kol Nidrei" - in einem Arrangement von Gerard Posch. Und man konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass diese Fassung für Altsaxophon und Blasorchester (natürlich mit Perkussion) eindrucksvoller ist als die Originalversion für Solocello und Orchester. Denn der Verzicht auf die Streicher bedeutete keinen Substanzverlust, sondern eine Verdichtung, eine Homogenisierung der Gemeinde in ihren Klagen und Gebeten, die in ihren einzelnen Gruppierungen sehr gut und stimmungsvoll herausgearbeitet waren. Für die Solistin Lena Brendel bedeutete das natürlich, dass sie es schwerer hatte, sich klanglich gegen das Orchester abzusetzen, als die Cellisten. Aber das gelang ihr ausgezeichnet, denn sie setzte nicht auf Kontrast, sondern auf ein Heraustreten und Wieder-Eintauchen in das Tutti. Sie spielte mit wunderbar weichem Ansatz und einer absolut plastischen Artikulation und war dabei auch erheblich näher an der menschlichen Stimme als das Violoncello. Vielleicht gibt es ja mal wieder eine CD.
Für die wäre auch das andere Werk bestens geeignet. Man muss "Wibraphon" geradezu dankbar sein, dass sich die Musiker der Mühe des Einstudierens ausgesetzt haben, denn "Gloriosa" des Japaners Yasuhide Ito ist rhythmisch und spieltechnisch außerordentlich fordernd. Das dreisätzige Werk thematisiert den schwierigen Versuch des Christentums, in Japan Fuß zu fassen und erzählt dadurch nicht nur eine spannende, gewaltreiche Geschichte, sondern verbindet geschickt Elemente der beiden Musiken. Man musste den historischen Hintergrund nicht unbedingt kennen, um sich von dieser Musik fesseln zu lassen, denn die enorme Konzentration des Orchesters übertrug sich sehr schnell auf die Zuhörer. Da prallten musikalisch und formal durchaus Welten aufeinander, da konnten sich auch die Perkussionisten bestens in Szene setzen. Da hörte man die mit Kirschblüten bestreute japanische Härte, da hörte man Momente der Hoffnung in einer kleinen, nicht ganz so ernsten Fuge. Nein, das war wirklich geistreiche Programmmusik in einer mitreißenden Aufführung.