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Büros für Banker statt Bullenstall


Autor: Kerstin Väth

Hammelburg, Donnerstag, 03. März 2022

Wer schon mal am Viehmarkt in Hammelburg war, ist auch schon am Bullenstall vorbei gelaufen. Doch kaum einer macht sich Gedanken, warum das Gebäude, in dem die Merkur-Privatbank eingemietet ist, eigentlich so genannt wird.
Das Hammelburger Urgestein Josef Kirchner erinnert sich noch gut an den früheren Bullenstall am Viehmarkt. Hier zeigt der 85-Jährige historische Aufnahmen aus seinem großen Bilder-Fundus.


Der Bullenstall am Viehmarkt ist den meisten Hammelburgern ein Begriff. Doch die wenigsten wissen, warum das Gebäude, in dem seit vielen Jahren eine Bank ihre Büros hat, diesen Namen trägt. Auch das Stadtarchiv hat nur wenig Unterlagen über den Bullenstall, den die Stadt im November 1990 an Dr. Theodor Adam Schmitt, Inhaber der Schilling Bank, verkauft hat. Heute hat die Merkur-Privatbank in dem Gebäude Büros angemietet, plant jedoch einen Neubau am Hochstein.

Der Hammelburger Josef Kirchner erinnert sich noch gut an die alte Zeit. Zumal seinem Uronkel das Grundstück nebenan gehörte und sein Vater Kilian Kirchner einst sogar einige Jahre der Stallknecht des Bullenstalls war. Der Bullenstall gehörte zum Bürgerspital und damit der Stadt. Die Stadt kaufte - wie viele Gemeinden zu dieser Zeit - ein oder zwei Bullen und die Bauern aus der Umgebung trieben ihre Kühe dorthin, um sie besamen zu lassen.

Denn die Kuh ist ein Säugetier. Sie gibt also nur dann Milch, wenn sie zuvor ein Kalb zur Welt gebracht hat. In Deutschland bekommen Milchkühe daher in der Regel jedes Jahr ein Kalb. Früher sorgte man mit einem sogenannten Deckbullen dafür, dass die Kuh trächtig wurde. "Natursprung" nennt man dieses Verfahren, bei dem ein Bulle sich auf natürliche Weise mit einer Kuh paart.

"Das war nicht einfach und konnte auch mal einige Zeit dauern, da standen die Kühe schon mal Schlange in der Gasse", erinnert sich Josef Kirchner, der hochrechnet, dass es bis in die 1950er Jahr rund 90 Bauernfamilien und rund 600 Kühe in der Stadt gab. Auch ein Geißbock stand im Bullenstall und so brachten auch die Ziegenbesitzer ihr Vieh zum Decken. Fast jede Arbeiterfamilie habe wie bei ihnen in der Kirchgrundsiedlung eine Ziege gehabt, erzählt der Hammelburger. "Die Geiß war die Kuh des kleinen Bauern", sagt er. Die nahrhafte Ziegenmilch war für die kinderreichen Familien lebensnotwendig.

Auch eine Kuh war im Bullenstall untergebracht, mit deren Milch die Schwestern die Insassen des Bürgerspitals versorgten. Futter in der Scheune nebenan kam von den hauseigenen Wiesen. "Wer nicht genug Bargeld hatte, bezahlte für die Betreuung im Spital mit einem Acker", berichtet Kirchner.

Die Nacht als alles niederbrannte

Unvergessen bleibt in der Stadtgeschichte der 22. August 1932. Um 4 Uhr früh wurden Schwestern und Insassen des Bürgerspitals durch ein Feuer geweckt. Ein Blitzschlag hatte den Bullenstall in Brand gesteckt. Stall, Scheune, Futtervorräte und Maschinen wurden wie das Nachbaranwesen von Andreas Kirchner, in dem der evangelische Betsaal untergebracht war, ein Raub der Flammen. Die drei Zuchtbullen, der Zuchteber und der Ziegenbock wurden befreit, so steht es in einem Bericht des Stadtarchivs.

Der Bullenstall musste möglichst schnell wieder errichtet werden. Kilian Kirchner war von 1934 bis 1942 Stallknecht. Man habe ihn angesprochen, nachdem der eigentliche Knecht mit den Bullen nicht zurecht kam, erzählt Sohn Josef Kirchner. "Wenn so ein Bulle dich an die Wand drückt, bist du tot", weiß er. Als sein Vater zum Militär eingezogen wurde, übernahm Alois Gerlach den Bullenstall, bis die künstliche Besamung eingeführt wurde.

Ende der 50er Jahre wurde die Bullenstation von der Stadt aufgelöst, weil es sich nur noch um einen Zuschussbetrieb handelte. Zwar wurde die künstliche Besamung bereits um 1900 entwickelt. Ihren Durchbruch erlangte sie aber erst Anfang der 1950er Jahre, als das Tiefgefrieren des Spermas möglich wurde. Anfangs wurde diese Methode laut der Internetseite www.landwirtschaft.de vorrangig eingesetzt, weil man damit Erkrankungen der Tiere durch sogenannte Deckseuchen verhindern konnte. Denn trat vor dieser Zeit in einem der Bauernbetriebe eine infektiöse Krankheit auf, wurde diese über den Gemeindebullen meist sehr schnell auf andere Tiere und Betriebe im Ort übertragen. Zudem wurden durch die künstliche Besamung Verletzungen der Tiere vermieden und die Sicherheit erhöht, weil der Umgang mit Bullen so gefährlich ist.

Die künstliche Besamung trug aber auch erheblich zum Züchtungserfolg bei. Denn auf diese Weise konnten Bullen mit besonders wertvollen Leistungsmerkmalen auch aus entfernteren Regionen - ja, sogar aus anderen Ländern - für die Zucht auf dem eigenen Betrieb berücksichtigt werden. Das erhöhte die Vielfalt bei der Auswahl möglicher Vererber.

Bullen aus dem Katalog

Heute können sich Landwirtinnen und Landwirte in (Online-)Katalogen von Zucht- und Besamungsorganisationen den Bullen mit den geeigneten Zuchtmerkmalen für ihre Kuh aussuchen und von diesem eine Samenportion bestellen. Besamungstechnikerinnen und Besamungstechniker kommen auf den Betrieb und sorgen dafür, dass das Sperma fachgerecht auf die Kuh übertragen wird.

Eigene Heftchen gedruckt

Der Hammelburger Josef Kirchner fasst seine historischen Aufnahmen übrigens in Heftchen zusammen, die man in der Druckerei Walz erstehen kann.