Druckartikel: Alle haben dieselbe Hoffnung

Alle haben dieselbe Hoffnung


Autor: Sigismund von Dobschütz

Euerdorf, Montag, 08. Dezember 2014

Die Asylbewerber in Euerdorf bekommen Unterstützung von Freiwilligen Helfern. Sie kommen aus verschiedenen Kulturkreisen und haben doch eines gemeinsam: Sie wollen in Frieden leben.
Helferin Hilde Venohr mit der kleinen Amila (8) im Arm spricht mit (von links) Vadel (34) aus Syrien, seinem Sohn Danir (11) sowie dem irakischen Ehepaar Hussein (39) und Faten (36).  Foto: Sigismund von Dobschütz


Anfang Oktober zogen die ersten Asylbewerber ins Euerdorfer Gasthaus Wolz. Inzwischen leben dort 23 Menschen vom Baby bis zum 60-jährigen Großvater. Sie kommen aus Syrien und dem Irak, aber auch aus Bosnien, Georgien, der Ukraine und Albanien. Die Gründe für ihre Flucht sind unterschiedlich und sie sprechen verschiedene Sprachen. Doch alle haben dieselbe Hoffnung: Ein Leben in Frieden, Freiheit und Sicherheit.

Auf vielfältige Weise unterstützt sie ein Dutzend Freiwilliger, die sich nach einer Bürgerversammlung im Oktober zusammenfanden. Damals lebten die Hilfesuchenden schon zwei Wochen in Euerdorf und waren anfangs allein auf sich gestellt, nur gastronomisch versorgt vom Wirt des Gasthofs, was zu gelegentlichen Pannen führte. "Man kann diesen Menschen doch nicht deutsche Hausmannskost vorsetzen", erinnert sich Hilde Venohr, die Sprecherin der Helfergruppe, noch immer kopfschüttelnd an die ersten, etwas unorganisierten Tage. "Inzwischen sind alle Anfangsschwierigkeiten bereinigt und alles wendet sich zum Guten." Heute kaufen die Flüchtlinge vom Geld, das ihnen das Landratsamt auszahlt, selbst im Supermarkt ein und kochen in der Wirtshausküche.
"Für uns an der Basis ist es nicht immer einfach, die Anordnungen der Behörden umzusetzen", hat Sabine Grünberg festgestellt. Auch stellt sich die Frage, warum man in einer kleinen Unterkunft Menschen aus sechs Nationen unterbringt statt nur aus einem Land oder einem Kulturkreis. Oder: Warum schickt man die Iraker nicht nach Saarbrücken, wenn dort ein Bruder lebt, oder die Bosnier nicht zu Familienangehörigen nach Würzburg?

Achmed dolmetscht schon

Stattdessen sitzen Asylbewerber in kleinen Gruppen im Gastraum und wissen nicht, sich zu beschäftigen. Zweimal pro Woche gibt es einen Deutschkurs der Helfer. Die achtjährige Amila aus Bosnien und die zwei Brüder aus Syrien, Achmed (7) und Danir (11), können sich schon verständigen. Sie lernen Deutsch in der Einhard-Grundschule. Schon jetzt muss der flinke Achmed oft als Dolmetscher herhalten. Mit seinem fröhlichen Temperament rennt der kleine Syrer von Tisch zu Tisch oder schaut der Albanerin Figirete beim Kochen zu.

Figirete kam mit Ehemann Hassan und dem 20-jährigen Sohn Alban aus Tirana. Hassan arbeitete in Albanien als Musiker. Die Musik fehlt ihm hier. Er wünscht sich so sehr eine Klarinette, um sich beschäftigen und vielleicht auch die anderen aufheitern zu können. Der Abiturient Michael (21) aus der Ukraine muss sich im Gasthaus mit seiner Mutter Maria (47) ein Doppelbett teilen. "Das ist nicht so gut", lächelt er. Seine Mutter war Schneiderin, er selbst hatte nach dem Abi Gelegenheitsjobs und will in einem Hotel arbeiten. Der Umgang mit Menschen liegt ihm, sagt er. Außerdem kocht er gern. Die trostlose Zeit nutzt er jetzt, mit Hilfe eines Sprachprogramms auf dem Laptop Deutsch zu lernen. Mama Maria macht mit, lächelt aber: "Verstehen gut, sprechen schwierig."

Alles zurückgelassen

Die bedrückendsten Schicksale haben der Syrer Vadel (34) und seine Frau Maria (35) sowie das Ehepaar Hussein (39) und Faten (36) aus dem Irak hinter sich gelassen. Vadel hatte einst eine gesicherte Existenz als Biologe. Geflohen ist er, um seinen beiden Söhnen eine Zukunft zu ermöglichen. Auch Hussein und Faten hatten früher ein sorgloses Leben im Irak. Er verdiente sein Geld als Innenarchitekt, sie hatte ihre eigene Apotheke. "Wir haben alles zurückgelassen - Firma, Apotheke, Haus und Geld", erzählt Hussein. Sie mussten fliehen, weil die Familie verfolgt und seine Frau sogar einmal verschleppt worden war. Ihre Verwandten leben heute in der ganzen Welt verstreut. Sie haben keine Heimat mehr. "Aber wir sind in Sicherheit."

Nach dem Regierungswechsel in Georgien wurde es auch für David (26) und seine schwangere Frau Tamara (21) zu gefährlich. "Vorher hatten wir ein gutes Leben, dann wurde unsere Familie bedroht", berichtet der Literaturwissenschaftler. Vor einer Woche wurde er Vater. "Die kleine Anastasia ist zuckersüß", freut sich Hilde Venohr mit den Eltern. Kollegin Gisela Bergel hatte sich die Tage zuvor um die werdende Mutter gekümmert und sie schließlich ins Krankenhaus gefahren. Jetzt wird mit Hilfe des Sozialamts eine Wohnung gesucht. Organisatorische Probleme zu lösen, ist für den Helferkreis gemeinsam mit den Ämtern leicht. Venohr: "Die Hilfsbereitschaft ist groß." Schwieriger ist es, die Asylbewerber aus sechs Ländern und verschiedenen Kulturkreisen miteinander zusammenzubringen, aus ihrer Lethargie zu reißen und sie zu beschäftigen. "Wir brauchen Menschen, die die Flüchtlinge an die Hand nehmen." Vielleicht ergeben sich zu Weihnachten sogar Patenschaften?