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Abc-Schützen im Krieg


Autor: Winfried Ehling

Hammelburg, Mittwoch, 15. Juni 2016

30 Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 1935/ 36 nutzten das Stadtfest zu einem Klassentreffen.
Amilda Sporleder (Mitte) war als Flüchtlingskind nach Hammelburg gekommen, das sie liebgewonnen hat. Heute in den USA beheimatet, begleitete sie ihr Sohn Donald (links) zum Klassentreffen, wo sie Organisator Josef Kirchner (rechts) begrüßte.  Foto: Winfried Ehling


Ein Jahrgangstreffen der "80er" gehört zu den Ausnahmen der Veranstaltungen ehemaliger Schulkameraden weil diese Aktivitäten nach Erreichen des hohen Alters meist verebben. Rund 30 Ex-Schüler aus der Saalestadt kamen der Einladung von Organisator Josef Kirchner nach und wählten das Jubiläums-Stadtfest für ihre Wiedersehensfeier.

In den Jahren 1935/ 36 geboren, fiel ihre Einschulung in der Alten Volksschule in das Kriegsjahr 1942. "Es gibt Angenehmeres als das Einmaleins und das Alphabet zu lernen, wenn in ganz Europa die Kanonen donnern", sind sich die Ehemaligen einig, die wegen der Fliegerangriffe in den letzten Kriegstagen immer häufiger in den Schulkeller flüchten mussten.

"Im April 45 sollten wir eigentlich von Pfarrer Mahr unsere erste Heilige Kommunion empfangen. Sie musste um eine Woche verschoben werden", erinnert sich Kirchner. "Der Schulbetrieb wurde wegen Lehrermangels sogar bis zum Oktober gänzlich eingestellt."


Buben und Mädchen getrennt

Die Größe der Schulklassen damals stand in keinem Verhältnis zu den heutigen Kontingenten. "Wir waren rund 55 Jungs in der Klasse. Die Mädchen in der Parallelklasse waren etwa ebensoviele - streng getrennt von den Buben und mit eigenem Pausenhof - versteht sich", lächelt der Hammelburger Privat-Heimatfotograf und -archivar. "Wir, die Buben, haben die gleichaltrigen Schulmädchen meist nicht in der Schule, sondern erst beim Klassentreffen kennengelernt."


Nicht alle konnten vor Ort bleiben

In der Nachkriegszeit herrschte Arbeitslosigkeit und es gab kaum Lehrstellen. Viele zogen deshalb eine neue Heimat vor, in der Lohn und Brot einigermaßen sichergestellt waren oder auch ein anderes Land, wie die Schweiz oder die USA. Eine der Emigrantinnen, die in "God's own country" ihr Glück suchten, war Amilda Sporleder. Mit ihrer Familie als Deutsche in den 40er Jahren aus der Ukraine geflüchtet, kam sie nach zahlreichen Zwischenstationen in Hammelburg an, wo sie im "Hotel Post", heute die Raiffeisenbank, Quartier fand. "Nach einem Jahr wurde uns eine Wohnung im "Seelhaus" (heute die Lebenshilfe in der Seelhausgasse), zugewiesen", erinnert sie sich.

"Mein Vater stellte 1948 Antrag auf Auswanderung nach Amerika. Doch es dauerte vier Jahre, bis dieser genehmigt wurde", weiß die 80-jährige Dame noch, die in Begleitung ihres Sohns Donald am Klassentreffen teilnahm.
Zuwanderer waren in dem riesigen Land nicht unbedingt unerwünscht. Jedoch mussten sie sich im "Big Apple", New York, der Anlaufstelle für Emigranten, einer gründlichen Kontrolle unterziehen. Von dort ging es weiter ins kalifornische Stockton wo Amilda Sporleder die "University" absolvierte um in einem Krankenhaus arbeiten zu können. "Davor musste ich allerdings erst einmal sechs Monate Englisch büffeln", lächelt die Oma von drei Enkeln.

Vor 27 Jahren zog die Familie in den US-Bundesstaat Arkansas und eröffnete mehrere Geschäfte, kaufte Grundstücke und kam zu Wohlstand. Auf die Frage, ob denn die weite Reise nicht sehr strapaziös für die alte Dame war, meinte die Amerikanerin: "Ich komme gern wieder einmal nach Hammelburg, wo es mir immer gefallen hat, und mein Sohn begleitet mich ja."

Der Samstagnachmittag blieb den Ehemaligen zur eigenen Gestaltung vorbehalten. Nach Kaffee und Kuchen, einem Stadtrundgang oder einem Plausch auf dem Stadtfest trafen sich die "80er" zum Abendessen im Hotel Kaiser. Mit einem Sonntags-Gottesdienst für die verstorbenen Mitschüler in der Kirche von Kloster Altstadt endete das Wiedersehen.