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Goethe-Lieder sind ein ehrgeiziges Ziel


Autor: Gerhild Ahnert

Bad Kissingen, Dienstag, 01. Juli 2014

Die diesjährige Veranstaltung ist dem Dichterfürsten gewidmet. Die ersten drei Komponisten stellten ihre Kompositionen vor.
Sie stellten ihre neuen Lieder vor: Aribert Reimann (links), Manfred Trojahn und Wolfgang Rihm. Foto: Ahnert


Die Bad Kissinger LiederWerkstatt ist ein Geheimtipp unter Konzertgängern, aber nicht unter den angesehensten deutschsprachigen Gegenwartskomponisten. So konnten zur Auflage 2014Aribert Reimann, Wolfgang Rihm, Manfred Trojahn, Moritz Eggert, Bernhard Lang und Jan-Müller-Wieland gewonnen werden, zu Werken Johann Wolfgang von Goethes Lieder für Uraufführungen zu komponieren und sie mit den Sängern der LiederWerkstatt vor Ort einzustudieren und in zwei Konzerten

vorzustellen. Dazu gab es im kontrastierenden oder ergänzenden Nebeneinander Werke von Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Wolf oder Strauss zu hören.
Da erste Konzert war Goethes Zeitgenossen, allen voran Johann Friedrich Reichardt und Carl Friedrich Zelter gewidmet, gefolgt von Mozarts berühmtem, aber nicht wirklich mit Blick auf Goethe komponiertem "Veilchen"; Felix Mendelssohn-Bartholdys zwei Suleika-Liedern und Beethovens als Hommage an den großen Klassiker gedachten "Drei Liedern" op. 83. Es war sehr erhellend, diese Goethe bekannten und von ihm geschätzten Vertonungen seiner Lieder zu hören.

Der Tenor Karol Kozlowski und die Mezzosopranistin Olivia Vermeulen stellten Lieder von Goethes Zeitgenossen zur Begleitung der drei Werkstatt-Pianisten Axel Bauni, Jan Philip Schulze und Siegfried Mauser vor, denen man das Vergnügen an der Intensivbeschäftigung mit den Werken und Sängern, die die LiederWerkstatt bietet, anmerkte. Kozlowski musste in seine intonationsgenaue und auch artikulatorisch präzise Interpretation erst finden, Vermeulen schien nicht alles so ganz richtig in der Stimme zu liegen, doch sang sie ihren Part klar und in der Mittellage rund und wohltönend.

Stellas Leidensschrei

Höhepunkt des ersten Teils war die Uraufführung von Aribert Reimanns "Der Blick war's, der mich ins Verderben riss". Reimann hatte ja schon in der Diskussionsrunde zur LiederWerkstatt erklärt, dass ihn die klassische Hermetik der Goethegedichte eher abstieß als zur Komposition reizte. Doch wurde er - nicht verwunderlich für einen so erfolgreichen Opernkomponisten - in Goethes dramatischem Oeuvre fündig, beim Monolog der Stella in Goethes gleichnamigem Sturm- und Drang-Stück, in dem die Titelheldin in einem zerrissenen, fast wie ein Stream-of-Consciousness wirkenden Text ihr Leid als verlassene Geliebte hinausschreit. Vielleicht ist Reimanns Hinweis, dass er Goethes Text in einen schon konzipierten musikalischen Rahmen stellte, eine Erklärung dafür, dass vor allem in der großartigen Interpretation durch die Sopranistin Caroline Melzer zwar ein eindrucksvolles, sehr komplexes Klanggebilde entstand mit fast perkussiv gespielten Akkorden, gezupften und durch die Hand abgedämpften Klaviertönen, bei dem die Singstimme durch extreme Sprünge im äußerst dramatischen Mittelteil geführt wird hin zu einer Doppelinterpretation der wiederholten Ausrufe Stellas "Liebster!" und "Vergebens!" am Schluss. Dass aber doch der Eindruck bestehen blieb von einer gewissen Beliebigkeit in einer nicht unkonventionellen Klangsprache der Moderne.

Im zweiten Teil erlangte Wolfgang Holzmair, der große österreichische Bariton, eine Schlüsselstellung, denn er sang neben fünf Goetheliedern drei von Wolfgang Rihms Goetheliedern zum 80. Geburtstag von Wilhelm Killmayer von 2007 und die beiden Uraufführungen für die KlangWerkstatt. Holzmair, begleitet von Jan Philipp Schulze, sang zunächst die Schubertlieder in der Haltung eines überaus packenden Erzählers, ‚An Mignon‘ in kontrollierter, aber heftiger Bewegung, ‚An Schwager Kronos‘ ruppig, trotzig und sein ‚Wanderers Nachtlied‘ mit eindrucksvoller Beinahe-Innigkeit.

Goethesche Anmache

Auf diese Erinnerung an Schuberts berühmte Lieder folgten vier Goethelieder Manfred Trojahns. Auf ‚Wechsel‘ aus dem Jahr 2007 folgten die drei Uraufführungen für die LiederWerkstatt, die vom Komponisten wohl ganz bewusst aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit gewählt wurden. Karol Kozlowski und Jan Philip Schulze am Klavier interpretierten die Goethesche Anmache in "Anliegen" mit den sexgeladenen Emotionen des lyrischen Ichs fast ironisch durch das Exponieren der Schlüsselbegriffe in eine jeweils höhere Stimmlage. "Frech und Froh" kommt noch deutlicher zur Sache mit wilden Ausbrüchen schon am Anfang und einer imposanten Aufgipfelung bei "alle Lust", das alles zu einer fast heiteren Begleitung. Ganz anders die Stimmung in "Wonne der Wehmut", wo melancholische Dissonanzen und extreme Tonsprünge in eine unangenehme Höhe das Leiden des unglücklich Liebenden verdeutlichen, diesmal so ganz ohne Ironie.

Recht abgeklärt begannen Jan Philip Schulze und Olivia Vermeulen Schuberts Satz von Goethes ‚Ganymed‘, dessen Sehnsucht nach Verschmelzung mit dem Göttlichen zunächst vom Klavier fast witzig kommentiert wurde und erst bei "Hinauf! Hinauf strebts!" so richtig in Schwung kam. Bei ‚Erster Verlust‘ und ‚Rastlose Liebe‘ stellten die beiden Interpreten die Gegensätzlichkeit der beiden Texte ins Zentrum ihrer musikalischen Auslegung der Goetheschen Intentionen, mutlos und kraftlos beim ersteren, heftig bewegt beim zweiten.

Eisler gegen Schubert

Zu einem beeindruckenden Erlebnis wurde der von Caroline Melzer und Siegfried Mauser bestrittene nächste Teil: In direkte Beziehung gesetzt wurden hier Schuberts Vertonungen mit solchen von Hanns Eisler - und es war faszinierend zu hören, wie sie sich ergänzten, kontrastierten, einander kommentierten. Schuberts "Gretchen am Spinnrad" mit der Hoffnungslosigkeit der Verlassenen in der spinnradleiernden Klavierstimme und Hans Eislers ‚Goethe-Fragment‘ mit dem abgebrochenen, zunächst operettenhaften Ton; Schuberts "An den Mond", das Melzer fast im Erzählton, einfacher als das etwas dramatisierte Gretchenlied sang. Bei "Meeresstille" und "Glückliche Fahrt" waren die Kompositionen der so verschiedenen Musiker Schubert und Eisler direkt aufeinander bezogen, dass die Interpretation der Meeresstille durch eine getragene, bedrohliche Stimmung bei Schubert durch Eislers drängende musikalische Gestaltung eher Ergänzung als Gegensatz war.

In die Gegenwart übersetzt

Am Ende Wolfgang Holzmair und Siegfried Mauser mit fünf Liedern Rihms und ‚Sehnsucht‘ und ‚Nachtgesang‘ als Uraufführungen. Verblüffend an ihnen, dass der Nicht-Zeitgenosse Rihm mit den musikalischen Mitteln der Gegenwart plötzlich im Inneren der Goetheschen Texte angelangt zu sein schien, ihre Tiefe transportierte, indem er sie übersetzte. Hier wurde nichts durch modische Beliebigkeit verstellt, sehr dicht am Text komponiert. ‚Nachtgesang‘ erinnerte an ein Gespräch unter Freunden und was bei Goethe wie ein Refrain aussieht, wird bei Rihm zu einer Variationenreihe von Möglichkeiten völlig unterschiedlicher Schlüsse: "Ruhe, was willst du mehr?" Goethe ins 21. Jahrhundert gebracht. Was will man mehr?