Druckartikel: Glückspillen und der Duft von Kerosin

Glückspillen und der Duft von Kerosin


Autor: Heike Beudert

Maßbach, Dienstag, 02. April 2013

Das Ensemble des Fränkischen Theaters Schloss Maßbach spielt "Fahrenheit 451", ein Schauspiel aus einer entfremdeten Welt.
Andreas Armand Aelter und Susanne Pfeiffer in "Fahrenheit 451"Foto: Sebastian Worch


Als Robert Bradbury 1953 seinen Roman "Fahrenheit 451" veröffentlichte, skizzierte er eine neue, erschreckende Welt. Eine Welt, in der die Menschen Sklaven ihrer selbst geschaffenen Unterhaltungsindustrie sind. Sie werden beherrscht von einem technisierten Alltag mit Bildschirmen und Fernsehprogrammen und dem Diktat eines totalitären Regimes, das mit Pillen und sinnlosen TV-Spielen sein Volk bei Laune hält. Bücher dagegen werden verbrannt - denn Bücher sind Wissen.

Und Wissen führt zum Nachdenken - und Nachdenken ist in dieser Welt per Gesetz verboten.

Im Fränkischen Theater Schloss Maßbach ist die Bühnenversion dieses Science-Fiction-Werkes zu sehen. Kein leichter Stoff, aber auch deshalb so sehenswert, weil Bradburys Utopie einer entmenschlichten Hightech-Welt uns in einzelnen Szenen gar nicht mehr so fremd vorkommt. Wohnzimmer, die vom Fernseher beherrscht werden, schrille und billige Dauerberieselung via Fernbedienung oder Internet- all das gibt es auch heute schon. Unwillkürlich fragt sich der Zuschauer, wie groß der Schritt ist von unserer, von den Unterhaltungsmedien bereits stark bestimmten Realität hin zur totalitären Verdummungsgesellschaft von "Fahrenheit 451". "Wir müssen alle gleich gemacht sein, dann sind alle glücklich." Wie ein Mantra soll dieser Satz auf die Feuerwehrleute wirken und sie zu ihrer Arbeit, dem Bücherverbrennen, anspornen. Bücherverbrennung wird damit zum Akt der "Political Correctness".

"Es gibt nichts, was es wert ist zu wissen", sagt Feuerwehrhauptmann Beatty (Susanne Pfeiffer), die dazu beiträgt, dass diese Gesellschaft funktioniert, aber letztendlich an dieser zerbricht. Regisseur Augustinus von Loë lässt die Feuerwehrleute bei ihren Einsätzen wie ferngesteuerte Marionetten wirken. Auch Feuerwehrmann Guy Montag, Hauptfigur, ist ein solcher Mitläufer, allerdings einer, in dem der Keim des Zweifels bereits gesät ist.

Muße, nicht Freizeit

Doch Fahrenheit 451 ist nicht nur die Utopie einer hoffnungslos dem billigen Schein verfallenen Welt. Es gibt selbst in dieser Diktatur Menschen, die sich widersetzen - allen Bedrohungen zum Trotz. Sie sind es, die fest daran glauben, dass sich der freie Geist nicht ewig mit albernen Spielchen und einer falschen Wirklichkeit begnügen wird und sie sehen, dass hinter der Fassade der Immerglücklichen ein durch und durch trostloser Alltag voller Langeweile steckt. Einer dieser Menschen ist die junge Clarisse (Iris Faber), die in Guy die Neugierde auf Bücher, auf das andere Gesicht der Welt weckt, und ein anderer ist der Professor (Ingo Pfeiffer), der Montag endgültig das Sinnlose seines Tuns und die Dekadenz, Sprachlosigkeit und Kälte seiner Gesellschaft deutlich macht. "Wir brauchen mehr Muße, nicht Freizeit", sagt der Professor einmal.

Literatur ist für die Nichtangepassten ein Synonym geistiger Freiheit, ein Weg, die Welt zu erkennen mit all ihrer Menschlichkeit und Vielfalt - im Guten wie im Schlechten. Montag wird zum Überläufer, rettet sich zu den Waldmenschen. Dort wird der Inhalt der Bücher bewahrt, indem ihn die Menschen auswendig lernen - in der Hoffnung, dass die Welt irgendwann einmal zurückfindet zur Literatur und damit zu Humanität und wirklichen Werten.

Klare Formen

Spannend ist, wie im Fränkischen Theater Schauspieler und Bühnenbild (entworfen von Robert Pflanz) gewissermaßen verschmelzen in dieser durch und durch unpersönlichen, funktionalen Gesellschaft. Dabei beschränkt sich Hightech im Fränkischen Theater auf wenige, mit Bedacht ausgewählte Akzente - es sind Licht- und Toneffekte, kein unnötiger Schnickschnack, der ablenkt und blendet, wohl aber atmosphärische Dichte schafft. Um sich als Zuschauer die Nüchternheit dieser Plastik-Welt vorzustellen, braucht es keine bunten Kulissen. Klare Formen aus Holz ersetzen Bildschirmwände, sind wandelbar und unterstützen deshalb so gut die Entfremdung ihrer Protagonisten. Sachlich wie die Formen ist auch die Sprache des Schauspiels.

Ruhige, manchmal fast schon karge Dialoge werden lediglich durch schrille, urkomische Zwischensequenzen von der allgegenwärtigen Fernsehfamilie unterbrochen. Für den Zuschauer bedeutet dies auch, dass er Muße mitbringen muss, denn es ist kein Schauspiel, das sein Publikum atemlos von Szene zu Szene führt, sondern bei dem Zeit gelassen wird, genau hinzuhören und hinzusehen. Wie ein Bindeglied zwischen dem Schauspiel und der (fast verlorenen Welt) der Bücher sind die kurzen Lesungen aus Bradburys Roman "Fahrenheit 451", die sich naht- und mühelos in das Stück einfügen.

Iris Faber liest die Passagen, die mit ihrer bildreichen Sprache einen ganz eigenartigen, aber sehr gelungenen Kontrast zur Stimmung auf der Bühne bringen. Diese entfremdete Atmosphäre macht es möglich, dass mit Ausnahme von Guy Montag alle Darsteller gleich mehrere Rollen besetzen. Denn das Leben zwischen Pillen und Unterhaltungsindustrie hat die Menschen zwar nicht namenlos, aber austauschbar gemacht.