Gewalt in der Pflege oft durch Überforderung
Autor: Sigismund von Dobschütz
Bad Kissingen, Donnerstag, 24. Juli 2014
Tagung befasste sich mit Problem der häuslichen Gewalt.
von unserem Mitarbeiter
Sigismund von Dobschütz
Bad Kissingen — Häusliche Gewalt geschieht meistens im Verborgenen und bleibt deshalb unentdeckt. Dies zu verhindern, solche Missstände frühzeitig aufzudecken und umgehend abzustellen, darum ging es bei der Fachtagung gegen "häusliche Gewalt im Alter und in Pflegesituationen", zu der Nadine Bock als Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises in den Sparkassenpavillon eingeladen hatte.
Knapp 50 Fachkräfte und Helfer aus Pflegeeinrichtungen oder fachspezifischen Vereinen und Institutionen wie Frauenhäusern oder Weißer Ring hatten sich angemeldet, ohne dass die Tagung besonders beworben worden war. "Dies zeigt doch, dass das Thema die Menschen bewegt und ein Problem in unserer Gesellschaft ist", stellte Landrat Thomas Bold einleitend fest.
Er verwies in Stichpunkten auf die vielfältigen Erscheinungsformen häuslicher Gewalt und warnte vor der "Anonymität hinter verschlossenen Türen". Oft hätten nicht einmal die Nachbarn davon Kenntnis. Noch schlimmer sei allerdings, wenn Wissende solche Vorkommnisse nicht melden.
Meistens sei nicht kriminelle Energie der Grund für Gewalt im Alter oder in der Pflege, so war auf der Tagung zu erfahren, sondern Hilflosigkeit und psychische wie physische Überforderung. Hier müsse von Fachleuten aktiv geholfen werden. "Manchmal kommen sogar Pfleger mit schwierigen Situationen nicht klar", nannte Nadine Bock als ein Beispiel. Oder Demenzkranke würden dem Pflegenden gegenüber handgreiflich. Eine andere Erscheinungsform sei auch die Partnergewalt unter Senioren.
Schweigen aus Angst vor Heim
"Gewalt ist meistens ein Ausdruck von Macht und Kontrolle über den Partner", erklärte Barbara Nägele, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Verein "Zoom - Gesellschaft für prospektive Entwicklungen" in Göttingen, in ihrem Vortrag "Partnergewalt gegen ältere Frauen". Seit zehn Jahren beschäftigt sich der Verein mit Gewaltphänomenen und anderen Krisensituationen im Alter sowie mit Interventions- und Präventionsstrategien, um Hilfe geben zu können. Ist die "Viktimisierung älterer Menschen" schon im normalen Alltag möglich, kann sich die Situation gerade bei langfristiger Pflege des Partners gefährlich zuspitzen. Nägele: "Viele Frauen sind einsam mit ihrem Kummer." Sie schweigen auch trotz der Gewalt, weil sie die Einweisung in die stationäre Pflege fürchten. Deshalb sei es erforderlich, solche Fälle zu melden, damit Fachleute helfen und die Situation entschärfen können.
"Wie viel Belastung in der Pflege kann ich ertragen", fragte Daniela Wehner von der Bad Kissinger Caritas-Fachstelle für pflegende Angehörige in ihrem Vortrag. Ihr ging es unter anderem um den kritischen Punkt individueller Überforderung. Dieser Frage ging auch Zoom-Mitarbeiterin Sandra Kotlenga nach, die unterschiedliche Faktoren und Falltypen bei "Gewalt in häuslichen Pflegebeziehungen" erläuterte. Selbst Fachkräfte sind nicht immer von Gewalttaten ausgenommen, sei es nur passiv oder sogar als aktiv Handelnde. Um solchen Fällen vorzubeugen, sprach Lothar Herbst von der Berufsfachschule für Altenpflege in Münnerstadt über die inhaltliche Verankerung des Themas in der Ausbildung zum Altenpfleger oder zur Altenpflegerin.
Schon seit über zehn Jahren gibt es den "Runden Tisch" im Landratsamt aus Vertretern von Polizei, Justiz, Pflegeeinrichtungen und Hilfsorganisationen, der hinter dieser Fachtagung stand. Zwei Mal pro Jahr trifft man sich, um Erkenntnisse über häusliche Gewalt auszutauschen und Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Sollten die Verantwortlichen nach zehn Jahren nicht endlich wissen, was Sache ist? "Es gibt immer wieder neue Mitspieler und immer wieder neue Abläufe", kann Gleichstellungsbeauftragte Nadine Bock kein Ende der Problematik erkennen.