Gegen blinden Hass
Autor: Benedikt Borst
Bad Kissingen, Dienstag, 12. August 2014
Serie 100 Jahre ist der Erste Weltkrieg weg. Haben junge Menschen überhaupt einen Bezug zu dem Thema? Ein Gespräch mit der jungen Politikerin Victoria May (SPD) über Propaganda, Nazis und Schock-Bilder auf Zigarettenschachteln.
Bad Kissingen — Victoria May (22) aus Bad Kissingen ist die Vorsitzende der Jungsozialisten (kurz Jusos, Jugendgruppierung der SPD) in Unterfranken und studiert Geschichte an der Universität Würzburg. Sie spricht mit der Saale-Zeitung über die Hetz-Propaganda des Ersten Weltkriegs, warum Propaganda für Umweltschutz legitim ist, und warum sie NPDler für besonders lustige Dichter hält.
Der Erste
Victoria May: Meine Großeltern haben den Ersten Weltkrieg nicht mehr miterlebt, der Bezug in der Familie dazu ist schon relativ weit weg. Der Erste Weltkrieg ist aber ein interessantes Thema. Ich habe am Gymnasium meine Facharbeit über das Thema geschrieben.
Es war der erste Krieg, in dem Menschenmassen in die Schlacht geschickt wurden.
Im Ersten Weltkrieg starben 9,4 Millionen Soldaten, darunter zwei Millionen deutsche, 1,8 Millionen russische und 1,3 Millionen französische. Europa blutete sich aus.
Da kriegt man erst einmal einen Schrecken, wenn man sich dem Krieg über die Opferzahlen nähert.
Das Mittelalter wird ja immer so brutal dargestellt, aber das ist kein Vergleich zum Ersten Weltkrieg.
Der Erste Weltkrieg war auch der erste Propagandakrieg. Alle beteiligten Staaten setzen Propaganda ein über Plakate, Flugblätter, Zeitungen und Filme. Im Deutschen Reich waren drei Behörden für Propaganda zuständig. (Der Reporter zeigt ein Bild.
Darauf sind Soldaten in einer Schlacht zu sehen, wie sie feindliche Kämpfer töten. Darunter steht als Reim: "Jeder Schuss ein Russ - Jeder Stoss ein Franzos", siehe Foto unten).
Wie wirkt dieses Bild auf Sie ?
Es ist der Versuch, das eigene Volk mit lustigen Reimen zu ködern. Dieses Bild verharmlost die ganze Gewalt.
Wenn ich an den Ersten Weltkrieg denke, denke ich immer auch an die krasse Propaganda und an das übersteigerte Nationalbewusstsein. Das war alles ziemlich heftig.
Was verstehen Sie unter Propaganda?
Im Prinzip erzählt man seinem Volk etwas Falsches. Man will, dass die eigenen Leute hinter einem stehen und dazu braucht man ein Feindbild. Heute haben sich zwar die Feindbilder gewandelt, aber es ist noch das gleiche Prinzip.
(Victoria May nimmt ein Wahlplakat der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) mit dem Spruch: "Geld für die Oma, statt für Sinti und Roma".)
Wie finden Sie das?
Das ist ein "besonders lustiger" Reim unserer "lieben NPD". Hier wird gegen eine Bevölkerungsgruppe gehetzt. Sachen, die in meinen Augen nichts miteinander zu tun haben (Rentenversorgung und Ausländergruppen, Anm. d.
Red.) werden in einen Zusammenhang gestellt, um ein Feindbild zu erschaffen. Da kann man auch nicht dagegen argumentieren. Das ist ein komplett anderes und für mich verdrehtes Weltbild.
Sie verurteilen rechte Propaganda, weil sie gegen Ausländer und Minderheiten gerichtet ist. Was ist mit linken Gruppierungen, wie der Antifa, die im Prinzip dasselbe machen, nur gegen Rechts?
Die Antifa sehe ich etwas anders.
Ich meine jetzt nicht die gewaltbereiten Antifa-Leute. Ich finde, man muss einen Unterschied machen: Nazis hassen blind, die Antifa hingegen richtet sich gezielt gegen Nazis. Das kann ich besser nachvollziehen und finde es gerechtfertigt. Wer friedlich demonstriert, mit dem komme ich klar. Ich habe auch kein Problem mit deftiger Sprache, solange es gegen Nazis geht. Aber ganz deutlich: Gewalt geht nicht!
Das klingt recht willkürlich.
Wie kann Propaganda einerseits böse, andererseits vertretbar sein?
Man muss einen guten Zweck definieren. Was Menschenrechte stärkt, ist gut. Was gegen blinden Hass vorgeht, ist gut. Umweltschutz gehört in meinen Augen auch dazu.
Gegenbeispiel: Was ist mit dem Tabakkonzern, der Werbung macht. Marlboro verfolgt aus eigener Sicht eine gute Absicht: Zigaretten zu verkaufen sichert Jobs der Mitarbeiter.
Dass Bilder von schwarzen Lungen Zigarettenpackungen zieren, dürfte er also nicht gut finden.
Ein Konzern hat natürlich das Recht, Werbung zu machen. Aber es muss darüber aufgeklärt werden, was Rauchen gesundheitlich bedeutet. Die Aufklärung gilt ungeachtet der wirtschaftlichen Folgen. Der Mensch steht vor wirtschaftlichen Interessen.
Zurück zum Thema: Ihre Partei, die SPD, hat sich im Ersten Weltkrieg nicht mit Ruhm
bekleckert.
Ja, die SPD hatte mehrheitlich ja für die Kriegsanleihen gestimmt. Da sieht man, wie gut Propaganda funktioniert. Viele SPDler wollten nicht als vaterlandslose Verräter dastehen. Ich hoffe es, aber ich weiß nicht, ob ich den Mut gehabt hätte, gegen die Kriegskredite zu stimmen. Man kann sich heute nicht vorstellen, was für ein öffentlicher Druck damals ausgeübt wurde.
Ich würde nicht ausschließen, dass viele, die jetzt in der SPD sind, dafür gestimmt hätten.
Haben Sie denn schon einmal aus Angst vor anderen ihre Meinung verschwiegen?
Solche Situationen gibt es ja tagtäglich: Etwa wenn am Stammtisch wieder "Ausländer raus, sie nehmen uns die Arbeitsplätze weg" gerufen wird. Es passiert, dass man sich nicht traut seine Meinung zu sagen, weil sie von der Gruppe abweicht.
Man muss sich darauf besinnen, dass man gute Argumente hat. Ich finde es schade, dass sich viele Leute nicht trauen, ihre Meinung zu vertreten.
Seine Meinung couragiert vortragen. Das klingt nach einer guten Lektion aus dem Ersten Weltkrieg.
Lehren kann man aus jedem Konflikt ziehen. Ich finde wir können froh sein, dass wir in einer Demokratie leben. Wir haben ein gutes Wahlsystem.
Es darf nicht vorkommen, dass die Politiker beschließen: Jetzt gibt es Krieg. Deswegen ist Demokratie zentral. Solche Leute können wir abwählen. Frieden ist das wichtigste, was wir haben.
Das Gespräch führte
Benedikt Borst.