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Gastro in Kissingen: Ein Stern und kein Chichi


Autor: Susanne Will

Bad Kissingen, Dienstag, 26. März 2019

Thomas Hüttl ist Restaurant-Chef in Laudensacks Parkhotel. Er sagt: Der Stern ist toll - aber er schaffe auch Hemmschwellen.
Thomas Hüttl ist Restaurant-Chef in Laudensacks Gourmetrestaurant. Ein Stern, sagt er, ist großartig - aber er schaffe auch Hemmschwellen. Foto: Susanne Will


Am Ende seines Arbeitstages sitzt Thomas Hüttl neben einem Gast im Wintergarten. Der Gast hat nach dem Menü seine Gitarre rausgeholt, der Restaurant-Chef und der Gast singen schön schräg. "Es lebe der Zentralfriedhof", den Gassenhauer von Wolfgang Ambros. Das ist keine Szene, die man in einem Sterne-Lokal erwarten würde. "Und das ist genau unser Problem", sagt Hüttl. Zum 26. Mal in Folge hat "Laudensacks Parkhotel" in Bad Kissingen den begehrten Michelin-Stern erhalten. Restaurant-Chef Hüttl: "So ein Stern hemmt viele - sie glauben, bei uns gehe es nur elitär zu."

Weit gefehlt. Erst kürzlich hat Hermann Laudensack, seit 1989 Inhaber von Laudensacks Parkhotel & Spa mit Sterne-Restaurant, verfügt, dass die Tische nicht mehr mit Decken geschmückt werden. Das Essen wird jetzt auf blanken, massiven Tischplatten serviert. Rustikal soll das wirken, auch das Servicepersonal wurde vom Putz befreit. Statt in Anzug und Krawatte bewegt sich Thomas Hüttl (38) in Jeans mit Hosenträgern durch die Räume. "Wir haben hier keine Türschwelle - wir wollen zeigen, dass die Menschen keine Hemmschwelle haben müssen."

Sicherlich, Sterneküche hat ihren Preis, doch Hüttl bemerkt, dass "der gemeine Rhöner" eher selten das Lokal aufsucht, stattdessen sind die Plätze mit Genießern aus dem ganzen Bundesgebiet besetzt. Einmal Laudensack, das ist dreimal Poseidonplatte beim Griechen beim Griechen mit Retsina, Kaffee und Ouzo. "Das kann man sich durchaus leisten", sagt Hüttl, "sicherlich nicht dreimal im Monat". Aber darum gehe es ja nicht. "Es geht ja auch um die Einzigartigkeit. Der nächste Sterne-Koch sitzt in Würzburg."

Wer den Stern mit winzigem Chichi auf dem Teller verknüpft, liegt falsch. Ja, bei den Amuse Gueule, den Gaumenfreuden aus der Küche, da trumpft der Koch mit seiner Fantasie auf,. Es ist gut, wenn einem erklärt wird, was da Pink-körniges auf gelber Soße auf dem Löffel liegt (Rote-Bete-Klößchen mit Tatar vom Rhöner Saibling auf Apfel-Ponzu-Sud). Aber auf dem Teller landet dann echtes Gemüse, das auch nach Gemüse aussieht und kein "Schaum von", und das Rind ist ein richtiges Steak in einer Größe, bei der keiner meckern kann.

Thomas Hüttl: "Wir wollen weg von der Zauberei, hin zum Handfesten", schließlich sei Bad Kissingen nicht Berlin. Und dem Testesser vom Guide Michelin scheint es nur wenige Wochen nach der Vergabe des 26. Sterns wieder geschmeckt zu haben: "Er war tatsächlich kürzlich wieder hier."

Nein, ein Tester stellt sich nicht vor, Hüttl hat aber mittlerweile ein Auge für die Kritiker entwickelt. "Sie bestellen meist einen Tisch für zwei und kommen alleine. Und sie essen nicht auf." Bei der Auswahl blieben die Kritiker meist bei Klassikern hängen, im jüngsten Fall war es nach dem warmen Gemüsesalat mit Hummer das Rinderrückensteak mit Kartoffelgratin. "Auch das vermeintlich Einfache muss gut gemacht sein", sagt Hüttl, der die Test-Speisen-Folge gut nachvollziehen kann. Und dann hat er ihn doch angesprochen, den Michelin-Tester - und der outete sich lächelnd. "Und ein Feedback hat er mir auch gegeben: Er war erneut sehr begeistert."

Gute Aussichten also für den nächsten Stern für Laudensacks. "Zu 95 Prozent ist es das Verdienst der Küche, zu fünf Prozent der des Services und des Ambientes", so Hüttl. Seit 1992 ist der Stern das Aushängeschild, "und er macht ehrfurchtsvoll, denn er muss ja verteidigt werden". Was wäre, wenn der Stern mal unterginge? Vorerst ein Desaster.

Thomas Hüttl beobachtet auch die Konkurrenz in der Rhön und ist begeistert. "Ich freue mich zum Beispiel sehr über das Weiße Rössl in Stralsbach, vor allem, weil dort die Kinder zurückgekommen sind und die Wirtschaft übernommen haben." Familie Hergenröder hatte sich schon damit befasst, das Rössl aufzugeben - auch aufgrund des mangelnden Nachwuchses. Ein Problem, das auch das Laudensacks kennt. "Fachkräfte zu finden ist extrem schwer. Ich kann es nicht verstehen: Das Hotelfach ist ein Sprungbrett, auch in die Tourismusbranche." Im Laudensacks wird auch ausgebildet. Und extra dafür werden die Tischdecken wieder aufgelegt - damit der Nachwuchs weiß, wie eingedeckt wird. Doch am Abend werden die Teller auf blankes Holz gestellt - und ab und an die Gitarre rausgeholt.