Gabriele Tergit: Eine Frau mit vielen Facetten
Autor: Sigismund von Dobschütz
Bad Kissingen, Sonntag, 16. Oktober 2022
Ein Vortrag mit Lesung über eine viele Jahre vergessene und erst vor wenigen Jahren wiederentdeckte deutsch-jüdische Schriftstellerin bildet am Donnerstag, 28. Oktober, den Abschluss der diesjährigen Veranstaltungsreihe "Jüdische Kulturtage":
Die Herausgeberin und Literaturkritikerin Nicole Henneberg (67) erzählt auf Einladung der Bad Kissinger Buchhandlung "seitenweise" um 19 Uhr im SoLeb'icH-Bioladencafé (Ludwigstraße 23) aus dem wechselvollen Leben und Wirken der Berliner Gerichtsreporterin und späteren Roman-Autorin Gabriele Tergit (1894-1982). Ausgewählte Textpassagen aus deren erst seit 2016 in Neuausgaben veröffentlichten Werken liest Sigismund von Dobschütz.
Gabriele Tergit, Elise Reifenberg, Elise Hirschmann und Christian Thomasius - hinter verschiedenen Namen steht ein und dieselbe Frau mit vielen Facetten. "Gabriele Tergit, geborene Elise Hirschmann, war eine kluge und mutige Frau in einer gefährlichen Zeit", weiß Henneberg aus ihrer Arbeit. "Beim weltweit gelesenen Berliner Tageblatt als Gerichtsreporterin angestellt, entwickelte sie sich zu einer politischen Schriftstellerin und schrieb ab 1929 auch für die 'Weltbühne' - von den erstarkenden Nationalsozialisten aufmerksam beobachtet. Kurz nach dem Reichstagsbrand floh sie aus Deutschland, zuerst nach Palästina, dann nach London, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1982 lebte. Ihre drei Romane lassen sich als Hallräume dieses wechselvollen Lebens lesen", meint die Berliner Herausgeberin.
Als Gabriele Tergits Roman "Effingers" im Jahr 2019 als Neuausgabe erschien, überschlugen sich Kritik und Publikum vor Begeisterung. Endlich hatte der Jahrhundertroman seine verdiente Aufmerksamkeit erzielt, die ihm 1951 bei der Erstveröffentlichung nicht zuteil geworden war. Die über vier Generationen reichende Familienchronik der jüdischen Familien Goldschmidt und Oppner lässt gleichzeitig ein Jahrhundert deutscher Geschichte mit all ihren Umbrüchen, Aufbrüchen und Verwerfungen lebendig werden. Die Welt des jüdischen Berliner Großbürgertums kannte die Autorin aus eigenem Erleben. In der Weimarer Republik war sie durch ihre Geschichtsreportagen und ihren Debütroman "Käsebier erobert den Kurfürstendamm" (1932) bekannt geworden, der zuletzt 2016 in einer Neuausgabe erschien. Der Verfolgung durch das NS-Regime entkam Tergit im Jahr 1933 durch ihre Emigration nach Palästina.
Ihr autobiografisch geprägter Generationen- und Zeitroman "So war"s eben", der zu Tergits Lebzeiten keinen Verlag fand und den 1965 der Literaturkritiker Fritz J. Raddatz (Rowohlt Verlag) sogar ausdrücklich abgelehnt hatte, wurde erst 2021 in seiner ursprünglichen Form von Nicole Henneberg veröffentlicht. Dieser Erinnerungsband beschreibt den Untergang des jüdischen Bildungsbürgertums in Berlin von der Jahrhundertwende über die Flucht ins Exil bis in die 1950er Jahre.
Die Literaturkritikerin Nicole Henneberg, die als Herausgeberin der seit 2016 von ihr veröffentlichten Neuausgaben von Gabriele Tergits Werken wohl die beste Kennerin der einst vergessenen Berliner Schriftstellerin ist, wird in ihrem Vortrag am 28. Oktober sachkundig und anschaulich über Tergits Leben berichten und in deren Werke einführen, aus denen Bad Kissingens langjähriger "Vorleser" Sigismund von Dobschütz einige ausgewählte Passagen vortragen wird.
Veranstaltung: "Gabriele Tergit - Eine Frau mit vielen Facetten", Vortrag von Herausgeberin Nicole Henneberg im Rahmen der Jüdischen Kulturtage; Donnerstag, 28. Oktober, um 19:00 Uhr im SoLeb'icH-Bioladencafé, Ludwigstraße 23; Eintritt: 12 Euro, Tickets: "seitenweise. Die Buchhandlung.", Ludwigstraße. 21, Tel: 0971/ 46 46.