Druckartikel: Frankens größter Filmstar

Frankens größter Filmstar


Autor: Günter Flegel

Maßbach, Freitag, 29. Mai 2015

Michael Ballhaus drückte dem Geschehen auf der Leinwand wie nur wenige andere einen unverkennbaren Stempel auf - hinter der Kamera. Seine rasanten Fahrten wurden zum Markenzeichen. "Das fliegende Auge" der Traumfabrik hat sich ins Dorfleben zurückgezogen.
Sie waren vier Jahrzehnte unzertrennlich: Michael Ballhaus (79) und seine Arriflex haben Filmgeschichte geschrieben.  Foto: Archiv


Maßbach ist ein typischer Marktflecken im ländlichen Unterfranken. Hübsch anzusehen, ein bisschen verschlafen. Und doch schlägt hier das Herz der Kultur, nicht nur wegen des Theaters im Schloss. Die Kinderbuchautoren Paul und Nele Maar haben hier ihre Wurzeln. Und Hollywood lernte hier, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Der Kameramann Michael Ballhaus stammt aus der Maßbacher Theater-, Buch- und Filmfamilie.
Oskar Ballhaus, der Vater von Michael, wurde 1908 in Mühlheim an der Ruhr geboren. Nach der Schauspielausbildung in Essen hatte er erste Engagements in Berlin, wo er seine aus Maßbach stammende Kollegin Lena Hutter (1911-2003) kennen und lieben lernte. Das Paar hatte zwei Kinder: Michael Ballhaus, geboren 1935 in Berlin, und Nele Ballhaus, heute Maar, geboren 1938 ebenfalls in Berlin und mit dem Bamberger Kinderbuchautor Paul Maar (Das Sams) verheiratet.
Während des Zweiten Weltkriegs flüchteten Ballhaus und Hutter vor den Bomben aus Berlin nach Coburg. Dort gründeten sie nach Kriegsende das Fränkische Theater, das in mehreren Schlössern zuhause war: Wetzhausen, Stöckach und (bis heute) Maßbach. Die Bühne leitet seit dem Tod Lena Hutters Paul Maars Tochter Anne.

Sprungbrett in die Welt

Die Bretter, die in der fränkischen Provinz die Welt bedeuten, waren für Michael Ballhaus das Sprungbrett in die ganz große Welt: Er begann seine Karriere als Theaterfotograf. Sein Leben bekam die entscheidende Wende, als er 1955 die Dreharbeiten des Films "Lola Montez" mit Martine Carol und Peter Ustinov aus der Nähe beobachten durfte. Regisseur dieses Films, der unter anderem in Pommersfelden und Bamberg im neuen Cinemascope-Format gedreht wurde, war ein Freund der Familie, Max Ophüls. Das Filmfieber packte Michael Ballhaus: "Da stand für mich fest, ich wollte selbst Kameramann werden", erzählt er.
Nach einer Fotografenausbildung begann Ballhaus beim Südwestfunk in Baden-Baden als Kameraassistent. Eine Ausbildung zum Kameramann gab es zu der Zeit nicht. Schon 1960 durfte er zum ersten Mal selbst als Kameramann für das Fernsehen arbeiten. Sein erster Film entstand für den Regisseur Peter Lilienthal. Bis 1966 war er beim SWF Chefkameramann. 1968 drehte er seinen ersten Kinofilm: "Mehrmals täglich" mit Dieter Hallervorden.
Die deutsche Filmwelt ist klein: Ende der 1960er Jahre begegnete Ballhaus Rainer Werner Fassbinder, und das war der zweite Wendepunkt im Leben des Kameramannes - der Weg ins große Kino. Mit Faßbinder drehte Ballhaus 17 Filme, die ihn über Deutschland hinaus in der Filmszene bekannt machten und ihm auch in den USA die Türen öffneten. Faßbinder gilt als einer der Prota gonisten des Neuen deutschen Films und als Regisseur von internationalem Format. Seine Frauenfiguren - meist verkörpert von Hanna Schygulla - haben Filmgeschichte geschrieben: Lili Marleen, Effi Briest, Maria Braun ...

Scorseses Alter Ego

Ballhaus arbeitete in Hollywood zunächst an Independent-Produktionen mit, geriet aber bald in den Fokus von Martin Scorsese. Der machte Ballhaus 1985 zum Director of Photography für die Produktion von "Die Zeit nach Mitternacht". Scorsese und Ballhaus waren ein künstlerisches Traumpaar. Der Regisseur gab seinem "Auge" die Freiheit, aus der Ballhaus ein neues Selbstverständnis für seine Zunft machte. Er fotografierte nicht einfach nur, sein Beitrag zum Film war stets ein eigenständiges künstlerisches Projekt.
Unverkennbar ist eine Technik, die Ballhaus zwar nicht erfunden, aber perfektioniert und bekannt gemacht hat. An sich prägt die Sprache eines Films die schnelle Abfolge von Schnitten und Einstellungen; Ballhaus löste das Schema auf, seine 360-Grad-Kamerafahrten zerdehnten die erzählte Zeit. Der "Ballhaus-Kreisel" oder auch "das fliegende Auge" wurden zum Markenzeichen des genialen Bildkünstlers.
Michael Ballhaus führte in mehr als 80 Kinofilmen die Bildregie. Er arbeitete unter anderem mit Mike Nichols, Volker Schlöndorff, Wolfgang Petersen, Francis Ford Coppola, Jeanine Meerapfel und Peter Stein zusammen und genießt bis heute selbst bei den als schwierig geltenden Hollywoodstars höchstes Ansehen. Ballhaus arbeitete stets ruhig und sachlich, effizient und kreativ, er gilt als einfühlsamer Perfektionist. Seine Bildersprache rückt den Menschen in den Fokus, unaufdringlich und bei aller Nähe stets voller Respekt. 1988 erhielt er für seine Arbeit an "Nachrichtenfieber" seine erste Oscar-Nominierung. Zwei Jahre später wurde er für "Die fabelhaften Baker Boys" ein weiteres Mal nominiert. Eine dritte Nominierung erhielt er 2003 für "Gangs of New York", den Oscar für die beste Kamera erhielt er selbst aber nie.
Am Rande der Berlinale 2007 verkündete Michael Ballhaus seinen Rückzug aus Hollywood, um künftig vor allem Filme zu produzieren und zu unterrichten. Der Weltstar lebt heute in Berlin und in Eichelsdorf bei Hofheim, nur einen Steinwurf von Maßbach entfernt. Filme waren und sind sein Leben, bis heute, obwohl er am grünen Star erkrankt und beinahe erblindet ist, was der Augenmensch erstaunlich gelassen nimmt. "Ja, ich hätte gerne noch mehr gesehen", sagt Ballhaus. "Aber ich habe so viele Bilder im Kopf und entdecke jetzt noch einmal eine neue Welt: Ich lerne, mit den Ohren zu sehen."